Sein einziger Vertreter in Nürnberg starb bei Flugzeugabsturz
Am 18. Dezember kam es auf einem militärischen Flugplatz bei Oslo zu einer Bruchlandung einer Maschine der kanadischen Luftstreitkräfte. An Bord befanden sich 17 Personen, von denen nur zwei überlebten. Eines der Todesopfer war der offizielle Vertreter Norwegens bei den Nürnberger Prozessen, Hjalmar Steenstrup. Anderthalb Monate später sollte er vor dem Gericht über die deutsche Besatzung in Norwegen aussagen.
Norwegen wurde in weniger als einem Monat erobert. Unter dem Vorwand seines Schutzes vor einer Aggression Großbritanniens und Frankreichs landete die Wehrmacht in der Nacht auf den 9. November 1940 im Norden Skandinaviens. Am 2. Mai ergab sich die norwegische Armee, und die Regierung mit dem König Haakon VII. an der Spitze flüchtete nach Großbritannien. Mit den Okkupanten waren nur wenige Norweger zufrieden, aber kaum jemand wagte es, Widerstand gegen sie zu leisten. Hjalmar Steenstrup war einer der wenigen, die es wagten.
Hjalmar Steenstrup wurde am 11. Oktober 1890 in der Familie eines protestantischen Predigers geboren. Er war Repräsentant von Versicherungsgesellschaften und politischer Experte und Journalist. Seine Spezialität waren Waldbrände. Am Ende initiierte Steenstrup die Gründung des nationalen Verbandes für Bekämpfung von Waldbränden, dessen Direktor er selbst wurde. Noch in der Vorkriegszeit hatten viele in Norwegen von dem „Direktor Steenstrup“ gehört. Und als die Nazis das Land besetzten, spielte Steenstrup, der als entschlossener Naturfreund bekannt war, auch eine wichtige Rolle in der Widerstandsbewegung.
Lesen Sie auch
Irgendwann bekam er von den britischen Geheimdiensten den Auftrag, in der norwegischen Untergrundbewegung zuverlässige Leute mit einem militärischen „Background“ zu finden. So wurde im Mai 1941 unter Steenstrups unmittelbarer Beteiligung „Milorg“ (Akronym für „militær organisasjon“, also „Militärorganisation“) gegründet. Zu ihren Aufgaben gehörten Aufklärung, Sabotage und andere gefährliche Einsätze gegen die Nazis. Steenstrup selbst wurde ebenfalls „Milorg“-Mitglied.
Im Juni 1941 wurde „Cato“ von den deutschen Besatzungsbehörden aufgedeckt und verhaftet. Nach einiger Zeit in einem Gefängnis wurde er ins norwegische KZ Grini und dann nach Sachsenhausen befördert. Genauso wie er zuvor im Auftrag der im Untergrund agierenden Widerstandskämpfer zwischen Oslo und Stockholm gependelt hatte, pendelte er auch im deutschen Lager zwischen verschiedenen Häftlingen als Postmeister: einigen Kategorien der Häftlinge war Briefwechsel erlaubt. Dabei sammelte Steenstrup Informationen über die Schicksale einzelner Menschen und über die Verbrechen der Nazis. Nach der Befreiung des Lagers im April 1945 kehrte er nach Norwegen zurück und arbeitete mit dem Ministerium für soziale Angelegenheiten zusammen, indem er die Heimkehr der Norweger förderte und wiederum Informationen über Verbrechen der Nazis in Norwegen sammelte.
Nach Auffassung der Regierungskommission war Hjalmar Steenstrup der ideale Mann, der Norwegen bei den Nürnberger Prozessen vertreten sollte. Er genoss eine hohe Achtung in der norwegischen Gesellschaft, hatte am eigenen Leibe erlebt, was die faschistische repressive Maschinerie war, beteiligte sich an der Widerstandsbewegung und war mit den Themen bestens vertraut, mit denen sich das Tribunal befasste. Er kam nach Nürnberg und beteiligte sich an der Arbeit der britischen Anklage.
Als verkündet wurde, dass der Kriegsgerichtshof vom 21. Dezember bis 1. Januar in die Ferien gehen würde, wollte Steenstrup, wie auch viele andere Mitarbeiter des Tribunals, zum Weihnachtsfest nach Hause reisen. Aus Nürnberg erreichte er Kopenhagen, und dort stand ihm ein regulärer Flug nach Oslo bevor. Dieser wurde jedoch wegen Unwetters abgesagt. Man schlug dem offiziellen Vertreter Norwegens in Nürnberg vor, mit einer Frachtmaschine Douglas C-47 Dakota der kanadischen Luftstreitkräfte zu fliegen, die aus Großbritannien nach Oslo flog und eine Zwischenlandung in Kopenhagen machte. Damit wurde Steenstrup zum 13. Fluggast und zum zweiten Norweger an Bord. Der erste war der junge Flottenoffizier Inge Johansen.
Beim Anflug versagten die beiden Motoren der Maschine wegen Eisregens. Am 18. Dezember um 11.04 Uhr kollidierte sie mit einem Hügel unweit des Flugplatzes. Unter den 15 Todesopfern war auch „Direktor Steenstrup“.