Das Projekt „Nuremberg. Casus pacis“, die Versammlung der Völker Eurasiens und der Historiker, der Präsident der Stiftung „Digitale Geschichte“ Jegor Jakowlew starten die Dokumentationsreihe „Völkermord. Der Plan des Drittens Reichs“. Zum ersten Mal werden in russischer Sprache die Dokumente des Dritten Reichs veröffentlicht, die eindeutig beweisen, dass die Blockade Leningrads, die Massenhinrichtungen in den besetzten Gebieten, die Tötung von Kriegsgefangenen, medizinische Experimente zur Kastration und Sterilisation in KZ-Lagern keine normalen Vorfälle in Kriegszeiten, keine persönlichen Grausamkeiten der Nazis waren, sondern ein durchdachter Plan zur Auslöschung der Ethnien in der Sowjetunion war.

Рейхсмаршал Герман Геринг, фюрер Адольф Гитлер и фельдмаршал Вильгельм Кейтель изучают карту Восточного фронта. Июль 1941 г.
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Letzter Punkt

Eine rechtliche Beschreibung des Begriffs „Völkermord“ ist in der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes angegeben. Die Konvention wurde am 9. Dezember 1948 verabschiedet, als die Weltgemeinschaft noch frische Eindrücke von den Gräueltaten der Nazis hatte, und am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. Laut dem Dokument ist der Völkermord eine der folgenden, absichtlich begangenen Handlungen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;

b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an den Mitgliedern der Gruppe;

c) Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten innerhalb dieser Gruppen;

d) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe;

e) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, um ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.

Obwohl in den Handlungen der Nazis gegenüber den sowjetischen Ethnien alle fünf Merkmale des Völkermords zu erkennen sind, ist der letzte davon von besonderer Bedeutung. Laut den Dokumenten war gerade die Auferlegung unerträglicher Lebensbedingungen für die so genannten „Untermenschen“ im Osten für die Führungsriege des Dritten Reichs das effektivste Mittel zur Säuberung des Lebensraums.

Göring: Sie werden verhungern? Vielleicht gut so

Am 23. Mai 1941 wurden die Richtlinien des Wirtschaftsführungstabs Ost – der Plan für die totale Ausbeutung der sowjetischen Gebiete während der Nazi-Besatzung – veröffentlicht*. Hauptverfasser war Herbert Backe, Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Er stammte aus Baku und galt als großer Experte für die russische Landwirtschaft. Backe schlug vor, die Lebensmittelketten zwischen den sowjetischen Schwarzerde-Regionen im Süden des Landes und industriellen Verbraucher-Regionen in Zentralrussland zu kappen. Die  eroberten Lebensmitteln und Rohstoffe sollten laut Backe unverzüglich zur Versorgung der Wehrmacht und Einwohner Deutschlands, das wegen britischer Seeblockade am Rande einer Krise war, zu übergeben. Das Schicksal, das wegen dieser Handlungen die sowjetische Bevölkerung erwartete, beschrieb er zynisch und kaltblütig:

„Viele zehn Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen. Versuche die Bevölkerung dort vor dem Hungertode dadurch zu retten, dass man aus der Schwarzerdezone Überschüsse heranzieht, können nur auf Kosten der Versorgung Europas gehen“. Die Marktregelung und Bereitstellung von Lebensmitteln für diese Region sei ausgeschlossen, weil eine solche Bereitstellung bedeuten würde, dass die deutsche Verwaltung Verpflichtungen vor der Bevölkerung einginge. Solche Ansprüche werden im Voraus ausgeschlossen… Die Folge werde unvermeidlich das Aussterben der Industrie sowie des größten Teils der Bevölkerung in den früheren Verbraucher-Gebieten sein. Das sollte absolut klar erklärt werden, so Backe.

Ihm zufolge sollten nach einem für die Nazis erfolgreichen Ende des Krieges im Winter 1941-1942 in den ehemaligen sowjetischen Gebieten 20 bis 30 Millionen Menschen durch Hunger sterben.

Alle Vertreter der Nazi-Führung stimmten diesem Plan zu. Heinrich Himmler reiste nach einem Gespräch mit Backe am 10. Juni 1941 zu einer Sitzung im Schloss Wewelsburg und sagte dort vor hohen SS-Offizieren, dass das Ziel des Ostfeldzugs sei, die Zahl der Slawen um 30 Millionen Menschen zu verringern**. Erich von dem Bach-Zelewski, der ebenfalls an diesem Treffen teilgenommen hatte, sagte später, dass sein Leiter nicht nur von Slawen, sondern auch von Juden sprach und ihren künftigen Tod unter anderem mit Engpässen bei den Lebensmitteln verband.

Noch offener äußerte sich der Chef des Wirtschaftsführungsstabs Ost, Hermann Göring. Im November 1941 sagte er dem italienischen Außenminister Galeazzo Ciano:

„In diesem Jahr werden 20 bis 30 Millionen Menschen in Russland verhungern. Vielleicht ist es gut so, da bestimmte Völker dezimiert werden müssen“.

Über die Folgen der allgemeinen Ausbeutung sprach auch Alfred Rosenberg, der künftige Leiter des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete. Am 20 Juni sagte er einem Unterstellten:

„Die Aufgabe der Ernährung des deutschen Volkes steht an der Spitze der Forderungen, und die Südgebiete und der Nordkaukasus müssten für die deutsche Volksernährung einen Ausgleich schaffen. Es ist kein Grund vorhanden, die Russen mit den Überschussprodukten der Ostgebiete zu ernähren. Wir wissen, dass das eine harte Notwendigkeit ist, die außerhalb jeden Gefühls steht. Zweifellos wird eine sehr umfangreiche Evakuierung notwendig sein, und dem Russentum werden sicher sehr schwere Jahre bevorstehen“.

Dieses Zitat ist de facto eine Wiedergabe einer entsprechenden Stelle aus dem Dokument vom 23. Mai. Nur die unverhohlene Aussage Backes über das Aussterben von Millionen wurde durch nebulöse Begriffe wie „Evakuierung“ und „schwere Jahre“ ersetzt.

Hitler: Die Eingeborenen? Wir werden dazu übergehen, sie zu sieben

Ein Instrument zur Auslösung des Hungers sollte die Blockade sowjetischer Großstädte in Gebieten, in denen es keine Schwarzerden gab, sein. Die Einnahme dieser Großstädte würde für die Nazis bedeuten, die Verantwortung für die Versorgung der Einwohner zu übernehmen – aus der Sicht Hitlers waren sie politisch und rassenideologisch  kaum wertvolles “menschliches Material”. Von Anfang an war nicht geplant, sie mit Lebensmitteln zu versorgen. Deswegen weigerte sich das deutsche Kommando, die sowjetischen Zentren zu erstürmen. Diese sollten eingekesselt werden. Mit Hilfe der Artillerie und Fliegerkräfte sollten alle Systeme der Lebensversorgung zerstört und die Bevölkerung zum Hunger- und Kältetod verurteilt werden.

Im September 1941 wurde auf einer Konferenz der Wehrmachtführungsstabs unter Leitung Görings festgestellt: aus wirtschaftlichen Gründen ist die Eroberung der Großstädte unerwünscht. Ihre Blockade werde bevorzugt.

Hitler äußerte sich eindeutiger im Führerhauptquartier:

„Die Eingeborenen? Wir werden dazu übergehen, sie zu sieben. (…) In die russischen Städte gehen wir nicht hinein, sie müssen vollständig ersterben. Wir brauchen uns da gar keine Gewissensbisse zu machen. Wir leben uns nicht in die Rolle des Kindermädchens hinein, wir haben überhaupt keine Verpflichtung den Leuten gegenüber.“

Diese Pläne zumindest für Moskau und Leningrad wurden in den diplomatischen und militärischen Kreisen bereits im Sommer erörtert. Am 24. Juni 1941 sagte Göring dem finnischen Botschafter in Berlin Toivo Kivimäki, dass Leningrad sowie Moskau besser dem Erdboden komplett in Schutt und Asche gelegt werden sollten. Dass die Nazi-Führungsriege damit die Vernichtung der Städte samt ihren Einwohnern meinte, beweist eine Passage im Tagebuch des deutschen Generalstabschefs Franz Halder vom 8. Juli:

„Feststehender Entschluss des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich zu machen, um zu verhindern, dass Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten“.

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Die angeführten Passagen liefern ein noch genaueres Bild von den Nazi-Plänen zur Vernichtung durch Aushungern.

Das erste in diesem Artikel vorgestellte Dokument zeigt, dass die Nazis von der ausgehungerten Bevölkerung Verzweiflungstaten erwarteten und bereit waren, die Hunger-Aufstände mit Panzern zu unterdrücken. Andere Dokumente weisen darauf hin, dass neben der Blockade Leningrads auch die Blockade Moskaus sowie anderer Großstädte von der Heeresgruppe Mitte geplant war. Am 12. September ordnete Hitler an, die Kapitulation der sowjetischen Hauptstadt auf keinen Fall anzunehmen, selbst wenn sie angeboten wird. Der vom zukünftigen Sieg überzeugte Hitler sprach offen über seine Pläne.

Diese Materialien bekräftigen die These über das Vorhandensein dieser Pläne der Führungsriege um Hitler, das sowjetische Volk vollständig bzw. teilweise zu vernichten, was eindeutig als Völkermord einzuordnen ist.

Quellen:

* Wirtschaftspolitische Richtlinien des Wirtschaftsführungstabs Ost, Gruppe Landwirtschaft

International Military Tribunal. Trial of the Major War Criminals. Official text, English edition, Nuremberg 1947/49. Vol. XXXVI, 126-EC.

**  Sitzung des SS-Reichsführers Heinrich Himmler mit der SS-Führung in Wewelsburg. Auszüge aus den Aussagen von Erich von dem Bach-Selewski auf den Nürnberger Prozessen (7. Januar 1946). Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946. Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache. Digitaltext bei Zeno.org.