Boris Polewoi sah als einer der Ersten das befreite KZ-Lager

Boris Polewoi, Kriegskorrespondent der „Prawda“ in Nürnberg und bekannter Schriftsteller, wusste mehr über das KZ-Lager Auschwitz als viele andere Augenzeugen der Nürnberger Prozesse. Kurze Zeit später wurde in der ganzen Sowjetunion durch sein Buch “Der wahre Menschen bekannt. Zwei Tage nach der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee im Januar 1945 konnte er die Todeshölle der Nazis mit eigenen Augen sehen. Er sprach mit Gefangenen und Zeugen und schrieb einen Bericht für die Politische Verwaltung an der Front. Seine Eindrücke von der Vernehmung des ehemaligen Lagerkommandanten Rudolf Höß im Militärgerichtshof von Nürnberg am 15. April 1946 schilderte er am selben Tag in einem Artikel für die Nachrichtenagentur Sowinformbüro. Bei den Recherchen zum  Projekt „Nuremberg. Casus pacis“ wurde dieser Artikel im Archiv der Agentur entdeckt. Wir veröffentlichen erstmals den vollständigen Artikel des bekannten Schriftstellers über Auschwitz.

Bericht des “Prawda”-Korrespondenten Boris Polewoi für die Politische Verwaltung der 1. Ukrainischen Front über das KZ-Lager Auschwitz vom 29. Januar 1945
Первая страница статьи Бориса Полевого "Дымы Освенцима" / Государственный архив Российской Федерации. Ф. Р-8581, Опись N1, ед. хр. 184

(Quelle: Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums Russlands. F.236.O.2675.D.340.L.12-15.

http://mil.ru/winner_may/parad/his_docs/more.htm?id=20176@cmsPhotoGallery)

 

„An den Leiter der Politischen Verwaltung der 1. Ukrainischen Front. Generalmajor der Garde, Filipp Jaschetschkin“

Bericht

Ich teile Ihnen einige Angaben über das große deutsche KZ-Lager Auschwitz mit.

I. Dieses Lager befindet sich südöstlich vom Kohlerevier in Oberschlesien und ist faktisch ein ganzer KZ-Lagerkomplex mit der polnischen Stadt Auschwitz im Zentrum, gelegen zwischen den Flüssen  Weichsel und Sula.

II. Um die Größenordnung dieses Lagers zu verstehen, sollte erwähnt werden, dass im ersten Jahr seiner Existenz, 1940-1942 und bis Mitte 1943 täglich hier manchmal bis zu acht Züge mit Gefangenen eintrafen. Der stellvertretende Leiter des Sortier-Güterbahnhofs Auschwitz Ian Krzezinski, der für den Zugverkehr in diesem Gebiet zuständig war. sagte:

„In den ersten drei Jahren sind hier so viele Züge mit Gefangenen eingetroffen, dass unsere Güterbahnhof es zeitlich nicht schaffte, diese Züge zu bearbeiten, weshalb der stellvertretende Leiter des Güterbahnhofs Kasemir Kontusz nach Auschwitz gelang. Am Tag ließen wir sechs bis acht Züge passieren, jeder Zug hatte bis 30 Waggons, in jedem wurden von den Deutschen bis zu 50 Menschen gesteckt. Daraus ergibt sich also eine ungefähre Zahl der täglichen Ankunft der Gefangenen. Kennzeichnend ist, dass in der ganzen Zeit, als ich dort arbeitete, niemand aus dem Lager gebracht wurde, außer in den letzten Monaten, als die KZ-Gefangenen für den Bau der Verteidigungsanlagen bei Krakau unweit des Kohlerevier Oberschlesien genutzt wurden“.

III. Nach Zeugenangaben russischer Gefangener, des ehemaligen Vorsitzenden des Verbandes der Konsumgenossenschaft in Uman, Nikolai Koslow, des ehemaligen Milizleiters der Stadt Belaja Zerkow, Stepan Morkowski, befand sich mitten im Lager in unmittelbarer Nähe der gleichnamigen Stadt eine Musterungsstelle. Alle Eintreffenden wurden dort nach ihrer Arbeitsfähigkeit eingeteilt.

Arbeitsfähige wurden zu den Holz- und Straßenarbeiten geschickt, Arbeitsunfähige, Greise, Frauen, politische Vertreter und Juden sofort in die so genannte Todesfabrik.

In den ersten zwei Jahren wurden die  Menschen auf eine gewöhnliche Weise getötet – sie wurden erschossen und in Massengräber geworfen. Hunderte solche Gräber befinden sich im östlichen Teil des Lagers, das von den Gefangenen „Hitler-Allee“ genannt wurde. 1942 errichteten die Deutschen zwei Krematorien. Das erste davon, in dem Leichen wie in Majdanek verbrannt wurden, erinnerte von außen an ein großes Werk für Kalkbrennerei, das zweite war das so genannte „Todes-Fließband“. Das war ein langes Gebäude, fast 500 Meter lang, am Ende befanden sich Grubenöfen, die mit Kohlengas beheizt wurden. Die Öfen hatten Temperaturen bis 800 Grad, die Leichen verbrannten dort innerhalb acht Minuten.  Nördlicher von den Öfen befand sich ein langläufiges Gebäude mit Metallboden, das in Kabinen aufgeteilt war. Die Gefangenen wurden dorthin mit den Zügen gebracht. Es hieß, dass sie hier sanitär versorgt werden sollten. Sie wurden ausgezogen, Frauen und Männer getrennt, sie gaben ihre Sachen ab und gingen dann in den Raum, der als „Baderaum“ ausgegeben wurde. Hier wurden sie mit Hochspannungsstrom getötet. Danach öffnete sich der Boden, die Leichen fielen auf die sich zu den Öfen langsam bewegenden Fließbänder, wo sie verbrannten. Danach wurden ihre Knochen gemahlen und als Dünger in den nahegelegenen Gemüsegärten genutzt.   Dieses Gebäude zusammen mit dem Ofen wurde von den Deutschen nach dem Majdanek-Prozess zerstört, übrig blieben nur Reste.

Laut Koslow und Markowski bemühten sich die Deutschen nach dem Majdanek-Prozess  die Spuren ihrer unmenschlichen Gräueltaten zu verwischen. Die  Grabhügel wurden eingeebnet.

IV. Die Arbeiten im Lager verfolgten das Ziel, Menschen bis an den Tod zu bringen, sie arbeiteten 16-17 Stunden. Für jedes Vergehen sowie Nichterfüllung des vorgeschriebenen Arbeitspensums waren Prügelstrafen vorgesehen. Sie erfolgten in speziellen Räumen – 50 bis 60 Schläge mit dem Stock. Die für die Abstrafung bestimmten Bänke waren blutüberströmt, mit Schnallen zur Fesselung der Hände; belederte Stahlknüppel und Peitschen mit Draht kamen dabei zum Einsatz– das habe ich alles gesehen.

V. Nicht weit von Auschwitz in Nähe des Dorfes Babice befand sich ein Gefangenenlager für Briten und Kanadier. Bei der Befreiung befanden sich dort Tausende Soldaten und Offiziere unserer Alliierten. John Umit aus Birmingham sagte in einem Gespräch zu mir:

„Hierher wurden von Deutschen jene Soldaten gebracht, die für sie nicht arbeiten wollten, das Regime war sehr streng, viele starben an Hunger, Kälte und Krankheiten. Ich selbst war während der Operation Dynamo gefangen genommen, zusammen mit mir kamen rund 300 Menschen dorthin, noch wenige von ihnen am Leben überlebten. Ich und meine Kameraden im Lager danken von ganzem Herzen der heldenhaften Armee unserer Verbündeten, die uns vor dem Tod bewahrten. Die ganze Welt verdankt der Roten Armee viel, und wir am meisten, weil sie uns das Leben, unsere Ehre rettete und es den Deutschen nicht ermöglichten, uns in dieser Hölle zu ermorden. Ich und meine Kameraden wollen schnellstmöglich in die Heimat zurückkehren, um in den britischen Truppen den Kampf gegen Hitlers Nazis und Deutschland fortzusetzen“.

Der Rauch von Auschwitz

Kriegskorrespondent der Zeitung „Prawda“, Oberstleutnant Boris Polewoi

Dieser Artikel von Boris Polewoi wurde für die Abteilung der britischen Presse der Nachrichtenagentur Sowinformbüro geschrieben. Die Verfasser des Projekts „Nuremberg. Casus pacis“ entdeckten diesen Artikel im Archiv von Sowinformbüro, das im Staatsarchiv der Russischen Föderation aufbewahrt wird.

 

Anmerkung des Redakteurs: „Der Artikel ist sehr gut. Ich habe ihn um mehr als drei Seiten  gekürzt. Ich bitte sehr, ihn durchgehen zu lassen, sonst wird er seinen Wert verlieren. Er passt sehr gut in die Rubrik „Jubiläum“ (k.9.V) 16.IV-46“

„Im Leben jedes Menschen gibt es Tage, an die man dann nie mehr vergisst. Einer solchen Tage wird für mich für immer der frostige und windige Tag sein, als unser kleines Flugzeug an Oberschlesien vorbeiflog und auf einem riesigen mit Schnee bedeckten Gemüsefeld landete, in der Umgebung des wegen seines grausamen Schreckens bekannten  KZ-Lagers Auschwitz. In den Tagen erfolgte das Vorrücken unserer Truppen auf breiter Front  und entschlossen, als Strom von Außenwasser, wobei jeder Versuch der Deutschen gebrochen wurde, Halt zu machen und zwischen den Linien ihre Stellung zu festigen. Die Deutschen flohen, ließen alles, ohne es zu schaffen, das Geraubte mitzunehmen und die Archive zu verbrennen bzw. die Spuren ihrer blutigen Gräueltaten zu verwischen.

Als unser Flugzeug noch über dem riesigen KZ-Lager kreiste und nach einem Landeort suchte, rannten Tausende Menschen in merkwürdig gestreifter Kleidung  uns von allen Seiten entgegen. Sie stolperten, fielen, standen auf und liefen sich außer Atem, fuchtelten mit den Armen, lachten und weinten gleichzeitig. Von diesen Märtyrern von Auschwitz, die von der Roten Armee vor dem Tode gerettet wurden, haben wir erfahren, welche Art von Rauch über dem Lager weht, der die gesamte Gegend umhüllte und die Lungen mit schwerem Gestank füllte. Der Schlag der Roten Armee war an diesem Ort so stark, dass die zahlreichen SS-Soldaten als Bedienstete des Lagers morgens flohen. Sie schafften es nur, hastig die Gaskammer und einige Öfen in die Luft zu sprengen, doch einige blieben intakt, überall Leichenberge. Sie erzeugten weiterhin den Rauch, mit dem die Luft vergiftet wurde.

Auschwitz war das vollkommenste und das grausamste Gebäude des deutschen Faschismus. Es  war der ganze  Stolz Himmlers, der von Berlin aus seinen Bau und technische Ausstattung verfolgte und danach den Betrieb dieser riesigen Todesfabrik  leitete und kontrollierte. Wie mir damals Gefangenen erzählten, kam er oft  in Begleitung mit renommierten faschistischen Beamten und amüsierte sich, wenn die Menschen von Hunden gehetzt wurden und massenweise getötet wurden. Die Faschisten hatten ein großes Repertoire für die Massentötungen angeeignet: von Massenexekutionen per Gewehr oder Gaskammer. Sonntags erschossen die SS-Soldaten willkürlich auf dem Feld laufende Menschen. Es wurde gemordet mit Strom oder Experimenten im Lager.

In Begleitung einer riesigen Menge von Menschen in gestreiften Jacken und Hosen, die eher wie Schatten aussahen – so blass und  mager waren sie, gingen wir diesen verfluchten Ort um – wohl den schrecklichsten Ort in aller Welt. Das war wohl der Höhepunkt der grausamen Fantasie der Faschisten, der Gipfel, den Hitler in seinen Bemühungen um die „Entvölkerung“ der Welt erreichen konnte. Man zeigte uns das Vernichtungslager – eine Bahnstation, die in den Jahren, als Auschwitz „mit voller Belastung“ funktionierte, jeden Tag zwei oder sogar drei Bahnzüge voller Menschen empfangen hatte, die den „Rohstoff“ für diese riesige „Todesfabrik“ ausmachten. Man zeigte uns eine fünf Meter lange mit Kugeln durchlöcherte Betonmauer, wo die Häftlinge massenweise erschossen worden waren. Diese „Schießbude“ der Faschisten war technisch bestens ausgestattet: Im Betonboden gab es beispielsweise Abgüsse für Blut und Gummischläuche, um das Blut von der Mauer wegzuspülen. Man zeigte uns das riesige Gebäude der Gaskammern. Die Faschisten hatten sie zwar vor ihrem Rückzug gesprengt, aber auf einzelnen Wänden, die stehen geblieben waren, waren Aufschriften zu sehen: „Auskleideraum“, „Desinfektionsraum“, „Dampfbad“ usw. Die Gaskammern waren tatsächlich als Dampfbäder geschickt getarnt. Dort gab es sogar gefälschte Wasserhähne, aus denen aber nie Wasser gelaufen war, oder auch Duschbrausen, die aber für andere Zwecke verwendet worden waren – nicht um die Menschen zu waschen, sondern um ihr Blut wegzuspülen. Man zeigte uns auch ein ganzes „Städtchen“ von Zwingern, wo noch Hunderte Hunde saßen, deren Aufgabe gewesen war, die Häftlinge zu hetzen.

Wir haben auch heimliche „Abfalllager“ gesehen, wo ganze Häufen von Kiefern und goldenen Jacketkronen aufbewahrt wurden, die den getöteten Opfern ausgerissen worden waren. Wir gingen durch riesige Räume mit Häufen von menschlichen Haaren, die hätten nach Deutschland befördert werden sollen. Und dort haben wir zum ersten Mal von einem SS-Mann namens Rudolf Franz Ferdinand Höß gehört, der das KZ-Lager Auschwitz gegründet hatte und sein erster Kommandant gewesen war.

Die Menschen in den gestreiften Anzügen, die unsere „Reiseführer“ durch diese faschistische Hölle waren, sprachen diesen Namen mit Furcht und Ekel aus. Schon am Abend erreichten wir den so genannten „Zigeunerblock“. Dort lag auf dem Betonboden, neben einem Dampfrohr, der bekannte belgische Kunstforscher Jean Pernasse. Seine Kameraden baten uns, die Offiziere der Roten Armee und sowjetische Journalisten, zu ihm näher zu treten, um seine letzten Worte zu hören. Der 60-Jährige, der im Grunde schon eher ein mit Haut überzogenes Skelett war, lag schon praktisch im Sterben, und unser Dolmetscher musste sich neigen, um zu hören, was dieser sagen wollte. Ich habe diese Worte für mein ganzes Leben behalten – hier sind sie:

„Rächt euch! Findet sie und rächt euch für uns, für diesen Auschwitz-Rauch, mit dem sie die Sonne von der Menschheit verstecken wollten. Merkt euch ihre Namen und rächt euch an ihnen!“

Die Namen anderer Auschwitz-Henker sind mit der Zeit in Vergessenheit geraten, aber der Name Höß ist in meinem Gedächtnis für immer geblieben, wie auch dieser ganze schreckliche Tag, an dem ich diese faschistische Hölle besuchte. Und hier, in Nürnberg, mehrere Monate später haben wir die Ausgeburt dieser faschistischen Hölle gesehen. Wie auch viele andere faschistische Verbrecher, hatte sich Rudolf Franz Ferdinand Höß einen fremden Pass besorgt, war umgezogen, hatte sich die Haare gefärbt und bis zuletzt irgendwo hier, bei Nürnberg, als Bauerngehilfe gearbeitet – in der Hoffnung, dass sich die Situation irgendwann wieder beruhigen würde, und dann würde er sein verstecktes Gold, das er aus den Jacketkronen der KZ-Häftlinge umschmelzen ließ, wieder finden und das Leben genießen. Allerdings wurde er enttarnt und verhaftet.

Und jetzt stand dieser umgefärbte Unmensch am Zeugenstand und machte Aussagen über seinen ehemaligen Vorgesetzten Ernst Kaltenbrunner. Journalisten warteten ungeduldig auf den Auftritt des „Chefhenkers“ von Auschwitz, der nach seinen eigenen Worten etwa drei Millionen Menschen umgebracht – mit Gas vergiftet, erschossen und ausgehungert – hatte, indem sie wohl dachten, etwas besonderes oder übernatürliches sehen würden. Und alle waren schockiert, als ein kleiner, unauffälliger Mann zum Zeugenstand trat und mit ruhiger und unauffälliger Stimme seine Aussage begann. Und er sprach so, als würde es nicht um eines der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, nicht um die Tötung von Millionen Menschen, sondern um Gemüseernte handeln würde.

Und sein unauffälliges Äußeres, seine ruhige Stimme – das war wohl das Schlimmste. Denn solche gehorsamen Beamten hatte der Faschismus eben erzogen. Das war das Ideal des faschistischen Entscheidungsträgers, das Ideal der „Herrenrasse“, das Hitler, Göring, Heß, Himmler, Rosenberg usw. anstrebten. Vernichtung von Abermillionen unschuldigen Menschen wurde für Höß zur Routine, die nach seinen eigenen Worten gar nicht so schlimm im Vergleich zu manchen anderen Ämtern im Dritten Reich war. Massenhinrichtungen, Menschenhetze mit Hunden – das alles war für ihn und seine „Mitarbeiter“ nichts als harmlose Unterhaltung. Irgendwann langweilten sie sich, wenn sie Tag für Tag ihre Häftlinge in Gaskammern schickten, und deshalb wollten sich auf irgendeine andere Weise amüsieren – und schließlich machte es doch keinen großen Unterschied, wie genau die Häftlinge sterben würden! Hitler, Himmler, Kaltenbrunner und auch Höß, der ihre Befehle zu erfüllen hatte, belohnten ihre Leute für Erfindung von neuen effizienten Mitteln zum Massenmord und von Maschinen zur Vernichtung von Menschenleichen. Der furchtbare Rauch in Auschwitz war nach seiner Auffassung keineswegs schlimmer als der Rauch irgendeines Betriebs im Dritten Reich.

Und selbst hier, im Zeugenstand, fand dieser „ideale“ Faschist, dieser Henker von Millionen Menschen, der seit seinem 23. Lebensjahr NSDAP-Mitglied und seit dem Alter von 34 Jahren SS-Soldat war, nichts Schlimmes an seinem schrecklichen Job und erzählte ruhig:

„Es ist natürlich schwer, genau zu sagen, aber ich denke, in Auschwitz wurden in Gaskammern oder anderweitig etwa zweieinhalb Millionen Menschen getötet. Wenn wir noch eine halbe Million Verhungerte hinzufügen, dann wären das etwa drei Millionen. Ja, diese Zahl wäre nicht übertrieben.“

In diesem Moment schien Höß plötzlich vergessen zu haben, wo er sich eigentlich befand, und dann schwärmte er auf einmal von der Perfektion der Instrumente zur Menschenvernichtung, die er in Auschwitz zur Verfügung hatte. Einem der US-amerikanischen Ankläger antwortete er:

„Wir haben sicherlich eine viel bessere Vernichtungstechnik entwickelt, als sie in anderen Lagern war. Wir setzten alle besten Errungenschaften ein und fügten unsere eigenen Erfindungen hinzu. Die anderen setzten zwecks Vergasung verschiedene Gase ein, die aber nicht besonders stark waren. Ich war der erste, der ‚Zyklon B‘ einsetzte. Das war eine kristalline Blausäure, ein hervorragendes Gift. In seinen Dämpfen stirbt man innerhalb von zehn bis 15 Minuten. In Treblinka, Belzec, Buchenwald waren die Gaskammern klein – höchstens für 200 Personen. Da musste man sich viel Mühe geben, um sie voll zu stopfen. Und bei mir waren die Gaskammern für 2000 Personen auf einmal bestimmt – oder sogar noch mehr, und wenn man wollte, dann könnte man noch mehr Menschen hineintreiben. In anderen Lagern stiegen die Leute aus dem Zug aus und wussten schon, wohin sie geführt würden. Und natürlich dieser Lärm, Schrei: Mütter verstecken ihre Kinder unter ihrer Kleidung, wollten sie nicht hergeben. Es kam sogar zu Aufständen. Bei uns gab es so etwas nicht. Alles war ganz schön als Dampfbäder und Desinfektionsräume getarnt. Die Leute stiegen aus dem Zug und glaubten, sie wären zur Arbeit gekommen. Sie wollten sich nach dem langen Weg waschen. Die Kleidung gaben sie ab und bekamen die Marken. Wertgegenstände wurden extra abgegeben. Sie begriffen, was auf sie zukommen würde, erst wenn die Türen schon geschlossen waren und der Gashahn geöffnet wurde. Dann schrien sie natürlich auf, konnten aber schon nichts dagegen tun. Was die Vernichtungstechnik angeht, so waren wir natürlich ganz an der Spitze.

Weiter prahlte Höß, dass es ausgerechnet ihm am besten gelungen sei, die Abfälle dieser riesigen „Todesfabrik“ richtig zu nutzen: Frauenhaare, Kleidung, Schuhe – es habe sogar ein spezielles Team gegeben, dessen Mitglieder den schon toten Opfern goldene Jacketkronen, Kiefern und Zahnbrücken ausrissen. Dadurch bekam das Dritte Reich – und auch die Henker selbst – zusätzliche Goldeinnahmen.

Ich hörte diese ruhige und sachliche Stimme und dachte: Wie mussten denn dieses System, diese Umgebung, diese Ideen gewesen sein, dass dabei solche Ungeheuer entstanden. Ich erinnerte mich an den Rauch von Auschwitz, an die Häftlinge und ihre letzten Bitten. Und ich wollte den schon halbtoten Menschen in der gestreiften Kleidung, die sich wundersamerweise aus den Öfen gerettet und mich durch das Vernichtungslager geführt hatten, sagen, dass ihr Henker und all die Unmenschen, die ihn gemaßregelt und seine blutige Hand gesteuert hatten, die all diese Vernichtungslager wie Auschwitz, Mauthausen, Belzec usw. erfunden hatten, der Strafe nicht entkommen werden, dass es für sie in dieser Welt keinen Platz gibt und geben wird.“