Wie Anwälte in die Falle der sowjetischen Anklage tappten

Das plötzliche Erscheinen des gefangenen Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus beim Nürnberger Prozess sorgte für großes Aufsehen im Saal. Dass der Angriff auf die Sowjetunion schon im Herbst 1940 geplant worden sei, hörte das Tribunal von ihm persönlich.

Das zentrale Ereignis am 11. Februar war die Befragung des ehemaligen Kommandeurs der 6. Armee der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, der bestätigte, dass der Angriff auf die Sowjetunion lange im Voraus vorbereitet wurde und nicht „präventiv“ war, wie das von der Nazi-Propaganda behauptet wurde. Das Auftauchen des wichtigsten Augenzeugen, der im Dritten Reich offiziell für tot erklärt wurde, im Gerichtssaal schockierte alle, die Operation zur Überstellung  von Paulus aus der Sowjetunion nach Deutschland sorgte für zahlreiche Legenden. Diese Geschichte ist seit 75 Jahren ein beliebtes Thema für Schriftsteller, Regisseure und Forscher.

Wie Anwälte in die Falle der sowjetischen Anklage tappten

Dieser bemerkenswerte Tag begann damit, dass der stellvertretende sowjetische Hauptankläger Oberst Juri Pokrowski dem Militärgerichtshof die Umstände des Angriffs des Reichs auf Jugoslawien darlegte. Pokrowski las die Angaben von Generaloberst Alexander Löhr und Generalfeldmarschall Friedrich Paulus vor.

„Das Protokoll des Verhörs von Feldmarschall Paulus wurde gemäß allen Regeln gerichtlicher Verfahren, die bei solchen Befragungen bei Gerichtsorganisationen in der UdSSR gelten, erstellt… Diese Dokumente gelten in der Sowjetunion als absolut offizielle Dokumente, mit voller Beweiskraft, die dem Kriegsgerichtshof bei Bedarf vorgelegt werden müssen“, sagte Pokrowski.

Er präzisierte, dass Paulus in Moskau am 12. Januar 1946 verhört worden sei.

Dann ging der Assistent des Anklägers, der staatliche Rechtsberater des 3. Ranges Generalmajor Nikolai Sorja, zum Thema Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion über. „Ich denke, dass eine bedeutende Hilfe bei der Analyse der Fragen, die die Geschichte der Vorbereitung des Unternehmens Barbarossa betreffen, die Aussagen von Menschen wie Friedrich Paulus, dem ehemaligen Feldmarschall der deutschen Armee, der wie bekannt unmittelbar an der Konzeption des Unternehmens Barbarossa und dessen Umsetzung teilnahm, leisten können“, sagte Sorja.

Die Verteidigung beschloss, dass sie die Argumente der Anklage desavouieren kann. Otto Nelte, Anwalt Wilhelm Keitels, merkte an, dass die die Fotokopie der Erklärung von Paulus von den sowjetischen Behörden nicht offiziell beglaubigt wurde, und die Erklärung selbst keine eidesstattliche Aussage sei, die als Beweis betrachtet werden könne. Sorja erinnerte daran, dass dem Militärgerichtshof alle Originaldokumente der sowjetischen Klage bzw. Dokumente, die ihre Authentizität beglaubigen, vorgelegt worden seien.

Die Fünf-Minuten-Legende

„Verteidiger legen vor Gericht Protest ein, als der sowjetische Ankläger die Aussagen vorlesen wollte, die Paulus in Moskau gemacht hatte“, schrieb der Sekretär der sowjetischen Delegation, Arkadi Poltorak, im Buch „Nürnberger Epilog“. Die Verteidigung forderte die Einbestellung dieses Zeugen nach Nürnberg und war sich irgendwie sicher, dass Roman Rudenko diesen Schritt nicht wagen wird... Doch als der Gerichtsvorsitzende Lawrence, der mit den Protesten und Bitten der Verteidigung behutsam umging, fragte, wie General Rudenko den Antrag des Anwalts betrachte, passierte etwas absolut Unerwartetes. Der sowjetische Hauptankläger ließ sich nicht lange überreden und stimmte sofort zu. Nur eingeweihte Personen bemerkten etwas Sardonisches in seinem Blick. Als Lawrence, der nichts davon ahnte, fragte, wie viel Zeit für die Einbestellung des Zeugen erforderlich sei, sagte Rudenko ruhig und ungewöhnlich langsam und irgendwie gleichgültig: „Herr Vorsitzender, ich denke, etwa fünf Minuten, nicht mehr. Feldmarschall Paulus befindet sich in den Unterkünften der sowjetischen Delegation in Nürnberg“. Das schlug wie eine Bombe ein. Die Verteidiger wollten ihren Antrag sofort zurückziehen, doch Lawrence forderte, Paulus unverzüglich ins Gericht zu bringen.

Das Stenogramm und die Tonmitschnitte vom Gerichtsprozess liefern jedoch keine Bestätigung für diesen Vorgang. Der verbale Austausch war zurückhaltend, niemand forderte die sofortige Einbestellung von Paulus und versprach dessen Erscheinen in fünf Minuten. Allerdings sagte der Anwalt des Generalstabs und Oberkommandos der Wehrmacht, Hans Laternser, dass der Zeuge jedenfalls für die Verteidigung sehr überraschend aufgetaucht sei.

Auch eine andere Geschichte, die auf Erinnerungen des Sohnes von Nikolai Sorja, Juri beruht, wird nicht bestätigt. Laut dieser Version soll Sorja (dieser begabte Jurist kommt unter rätselhaften Umständen am 22. Mai 1946 ums Leben – er wird erschossen in seinem Hotelzimmer aufgefunden) Paulus befragt haben und sagte, dass jetzt „Materialien und Aussagen der Personen vorgelegt werden, die über glaubwürdige Angaben darüber verfügen, wie in Wirklichkeit die Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion verlief“. Damals wurde die Rede von Sorja angeblich unterbrochen und die Kabinen der sowjetischen Dolmetscher abgeschaltet – die sowjetische Führung soll befohlen haben, dass Paulus weiterhin von Roman Rudenko befragt wird.

Dennoch zeigen das Stenogramm und Tonaufnahmen wieder etwas anderes. Direkt nach der Mittagspause sagte Sorja: „Gemäß der von der sowjetischen Delegation gemachten Erklärung bitte ich um Erlaubnis, in den Saal zur Befragung den Feldmarschall der ehemaligen deutschen Armee Friedrich Paulus zu bringen, dessen Befragung vom Hauptankläger der UdSSR, General Rudenko, durchgeführt wird“. Nach diesen Worten kam es tatsächlich zu einer Pause in der Dolmetscherkabine, doch offensichtlich war sie damit verbunden, dass der Ankläger plötzlich ausgewechselt wurde. Sorja befragte Paulus überhaupt nicht.

Zeugen schreiben auch darüber, dass das Auftauchen von Paulus im Saal für Aufregung auf der Anklagebank sorgte. Dies wird auch zum Teil durch Filmaufnahmen der Befragung bestätigt – die Angeklagten hörten dem Zeugen mit großem Interesse zu.

Als Deutschland und Satelliten sich auf Eroberung der Sowjetunion vorbereiteten

Erstens bestätigte Paulus den Text seiner Erklärung. Zweitens teilte er mit, dass er am 3. September seine Arbeit im Generalstab des Hauptkommandos des Heeres als Oberquartiermeister begann und bei Amtsantritt einen nicht fertigen operativen Plan entdeckte, in dem es sich um den Angriff auf die Sowjetunion handelte.

Laut dem Augenzeugen wurde dieser Plan vom Stabschef der 18. Armee, Generalmajor Erich Marcks, entwickelt. Mit der weiteren Entwicklung wurde Friedrich Paulus vom Stabschef des Heeres, Generaloberst Franz Halder, beauftragt.

Bei der Analyse der Angriffsmöglichkeiten auf Sowjetrussland musste man vom Standort, Bedarf und der Verteilung der Kräfte und Mittel ausgehen, sagte Paulus. Dabei sei angegeben worden, dass man von 130-140 Divisionen ausgehen müsste, über die er bei dieser Operation verfügen werde. Des Weiteren musste man von Anfang an die Nutzung des Territoriums Rumäniens als Aufmarschgebiet für die südliche Gruppierung der deutschen Truppen berücksichtigen, an der nördlichen Flanke war die Teilnahme Finnlands an dem Krieg vorgesehen, doch dieser Aspekt wurde während der Entwicklung dieser operativen Pläne nicht berücksichtigt.

Laut dem Zeugen gehörten zu den Zielen der Operation die Vernichtung der sich im westlichen Russland befindlichen russischen Truppen und die Blockade des Rückzugs der Einheiten tief nach Russland, und das Erreichen der Linie, die effektive Angriffe der russischen Luftstreitkräfte gegen das Deutsche Reich unmöglich machen würden. Als Endziel wurde die Wolga-Archangelsk-Linie genannt. Dieser Plan wurde Anfang November 1940 fertig gestellt und endete mit zwei militärischen Planspielen, die von Paulus in Halders Auftrag geleitet wurden.

Nach dem Ende der Planspiele fand eine Sitzung beim Generalstabschef des Heeres statt, bei der die theoretischen Ergebnisse dieser Spiele zusammen mit den Leitern einzelner Stäbe der Heeresgruppen, die für Operationen im Osten zuständig waren, erörtert wurden. Bemerkenswert sei, dass damals nicht bekannt gewesen sei, dass Russland umgekehrt Ähnliches vorhabe, sagte Paulus. Unmittelbar danach, am 18. Dezember 1940, ließ das Oberkommando der Streitkräfte die Anweisung Nr.21 verabschieden. Das war die Grundlage für alle militärischen und wirtschaftlichen Vorbereitungen auf den Krieg, so Paulus.

Laut dem Zeugen wurde der Kriegsbeginn zeitlich so gesetzt, dass das Vorrücken großer Truppeneinheiten in Russland am besten passte. Zunächst wurde der Überfall für Mai geplant, doch dieses Vorhaben wurde geändert, weil Hitler Ende März beschloss, Jugoslawien anzugreifen. Alle Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni wurden bereits im Herbst 1940 geführt, so Paulus.

Damit widerlegte er die These, dass der Angriff Deutschlands „präventiv“ war und nur eine Aggression der Sowjetunion gegen das Dritte Reich verhindern sollte. Diese Idee wurde von der Nazi-Propaganda ab dem 22. Juni 1941 vorangetrieben, als Adolf Hitler in seiner Rede an das deutsche Volk sagte:

„Nationalsozialisten! Ihr habt es einst wohl alle gefühlt, dass dieser Schritt für mich ein bitterer und schwerer war. Niemals hat das deutsche Volk gegen die Völkerschaften Russlands feindselige Gefühle gehegt. Allein seit über zwei Jahrzehnten hat sich die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus bemüht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken. Nicht Deutschland hat seine nationalsozialistische Weltanschauung jemals versucht, nach Russland zu tragen, sondern die jüdisch-bolschewistischen Machthaber in Moskau haben es unentwegt unternommen unserem und den anderen europäischen Völkern ihre Herrschaft aufzuoktroyieren, und dies nicht nur geistig, sondern vor allem auch militärischmachtmäßig”.

Der Zeuge sprach auch über die Rolle, die Nazi-Deutschland den Satellitenstaaten zusprach. So wurde Paulus mit den Verhandlungen mit den ungarischen Militärs über ihre Teilnahme am Angriff auf Jugoslawien beauftragt. Das wurde erfolgreich erfüllt, eine Gruppe ungarischer Kräfte wurde an der Grenze zur Sowjetunion zusammengezogen.

Ab Dezember 1940 verhandelte das Dritte Reich mit Finnland. Ende Mai einigten sich die Seiten darauf, dass das Vordringen der finnischen südlichen Heeresgruppe beim Überfall auf die Sowjetunion „mit dem Vordrang der deutschen Heeresgruppe ‚Nord‘ koordiniert“ werden sollte, und der weitere gemeinsame Vormarsch in Richtung Leningrad sollte „in einem Sonderabkommen vorgesehen werden – abhängig von der weiteren Entwicklung der Situation“.

So lenkte Deutschland von seinem Angriffsplan ab

Paulus zufolge begann der Überfall auf die Sowjetunion nach langen Vorbereitungen strikt im Sinne des entsprechenden tüchtig vorbereiteten Plans, der streng vertraulich war. Die Truppen, die diesen Auftrag bekommen würden, sollten in der Tiefe des strategischen Brückenkopfes bleiben, dann auf einen Sonderbefehl die Startpositionen einnehmen und gleichzeitig an der ganzen Frontlinie vordringen.

„Es wurde ein sehr kompliziertes Ablenkungsmanöver organisiert, das aus Norwegen und von der französischen Küste erfolgte“, sagte der Generalfeldmarschall aus. „Diese Einsätze sollten im Juni 1941 den Eindruck verleihen, sie wären gegen England gerichtet – und damit vom Osten ablenken.“

Die Wehrmacht sah nicht nur „operative Überraschungen“ vor – es waren beispielsweise Aufklärungseinsätze an der Grenze verboten, wobei im Interesse des spontanen Angriffs eventuelle Verluste de facto akzeptiert wurden. „Andererseits bedeutete das, dass es keine Befürchtungen gab, dass der Gegner plötzlich die Grenze überqueren würde“, betonte Paulus.

Er verwies auch darauf, dass das letztendliche Ziel des Überfalls darin bestanden habe, die Wolga-Archangelsk-Linie zu erreichen, was jedoch zu anspruchsvoll für die Wehrmacht gewesen sei. Das sei jedoch kennzeichnend für die grenzenlose Eroberungspolitik Hitlers und der Nazi-Führung gewesen. Wie wichtig für ihn dieser Krieg aus der wirtschaftlichen Sicht war, zeigte sich Paulus zufolge an einem Fall: Am 1. Juni 1942 soll Hitler in einer Beratung der Kommandeure der Heeresgruppe „Süd“ bei Poltawa gesagt haben, er müsste diesem Krieg ein Ende setzen, falls er das Öl von Maikop und Grosny nicht bekommen sollte.

Unter den aktiven Teilnehmern der Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion erwähnte der hochrangige Augenzeuge die Angeklagten Wilhelm Keitel, Alfred Jodl und Hermann Göring.

„Habe ich aus Ihrer Aussage richtig verstanden, dass Hitlers Regierung und das Oberkommando der Wehrmacht den aggressiven Krieg gegen die Sowjetunion noch lange vor dem 22. Juni 1941 geplant hatten, um das Territorium der Sowjetunion zu kolonialisieren?“, fragte Rudenko. „Es bestehen nicht die geringsten Zweifel, wenn man die Ereignisse, die ich eben geschildert habe, wie auch die Direktiven in der berühmten ‚Grünen Mappe‘ bedenkt“, resümierte Paulus.

Darum wurde Paulus Antifaschist

Am nächsten Tag fand ein Kreuzverhör Paulus‘ statt, aber den Rechtsanwälten gelang es nicht, ihn bei Widersprüchen zu ertappen. Der General gab keine Antwort auf die Frage nach der zahlenmäßigen Stärke der Roten Armee an den Grenzen zu Deutschland und Rumänien, die von aggressiven Plänen der Sowjets zeugen könnte. Zudem zerstreute er die Gerüchte, er würde an einer Militärakademie in Moskau Unterricht geben oder einen wichtigen Posten in der Sowjetunion bekleiden – so etwas würde von seiner Unehrlichkeit und von der Voreingenommenheit seiner Aussage zeugen.

Paulus bestätigte, Mitglied der Bewegung „Freies Deutschland“ zu sein, „an der sich alle deutschen Zivilisten und Militärs beteiligten, die ihre Aufgabe darin sahen, das deutsche Volk vor dem Tod zu retten, vor dem Unglück, das auf die Menschen wegen der Hitler-Komplizen gefallen war, und die Hitler-Regierung zu stürzen“. Gleichzeitig unterstrich er aber, vor dem 8. August 1944, als er den entsprechenden Appell unterzeichnete, keine Anti-Nazi-Propaganda betrieben zu haben.

Dies war kein zufälliges Datum: Paulus ergab sich am 31. Januar 1943 während der Schlacht von Stalingrad, als seine Armee eingekesselt wurde. Stalingrad war prinzipiell wichtig für den Kriegsverlauf, und deshalb befahl Hitler, der zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass der „Kessel“ nicht mehr entsperrt werden konnte, Paulus, sich nicht mehr zurückzuziehen und die Versuche zum Durchbruch des „Kessels“ zu lassen – und „bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone zu kämpfen“. Um die Soldaten aufzumuntern, wurden viele Offiziere mit Eisernen Kreuzen ausgezeichnet, und der Befehlshaber selbst wurde zum Generalfeldmarschall befördert. „Noch kein einziger deutscher Feldmarschall geriet in Gefangenschaft“, gab der Führer Paulus mit auf den Weg.

Die Armee, die ohne Munition, Brennstoff und Lebensmittel geblieben war, zog Gefangenschaft dem Tod vor. Hitler wurde wütend, erklärte sie alle für tot und organisierte Paulus‘ Beerdigung in einem leeren Sarg. Aber selbst in der Gefangenschaft weigerte sich Paulus lange, mit der sowjetischen Seite zu kooperieren. Allerdings änderte er seine Meinung nach den etlichen Niederlagen der Wehrmacht und vor allem nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944, an dessen Vorbereitung unter anderem einige Freunde des Generalfeldmarschalls teilgenommen hatten. Paulus war erschüttert, als er erfuhr, wie grausam die Nazis die Verschwörer – herausragende deutsche Offiziere – bestraft hatten.

Expertenkommentar

Andrej Gorbunow, Historiker, Methodist des Sieges-Museums:

„Nach seinem Auftritt hatten die Angeklagten keine Chance, sich zu rechtfertigen“

Friedrich Paulus wurde zum ersten Generalfeldmarschall des Dritten Reiches, der in Kriegsgefangenschaft geriet. Dieser Fakt wird umso wertvoller, wenn man bedenkt, dass er sich der Roten Armee im Februar 1943 ergab, als noch unklar war, wie der Krieg enden würde. Fast alle deutschen Generäle gerieten erst am Ende des Krieges in Gefangenschaft, und Paulus mitten im Krieg. Das war einmalig.

Paulus war ein begabter Stabsoffizier und ein guter Feldherr. Er war Nazi und gab diese Ideen erst im August 1944 auf, als alle schon verstanden, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Gerade deshalb gab Paulus den Nazismus auf: Er war klug genug, um zu verstehen, dass auf die Nazis nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition nichts Gutes zukommen würde.

Am 8. August 1944 unterzeichnete Paulus den Appell „An die kriegsgefangenen deutschen Offiziere und an das deutsche Volk“. Unter anderem stand dort geschrieben: „Unter diesen Umständen halte ich es für meine Pflicht, vor meinen kriegsgefangenen Kameraden und vor dem ganzen deutschen Volk zu erklären: Deutschland muss sich von Adolf Hitler lossagen und sich eine neue Staatsführung geben, die den Krieg beendet und Verhältnisse herbeiführt, die es unserem Volk ermöglichen, weiterzuleben und mit unseren jetzigen Gegnern in friedliche, ja freundschaftliche Beziehungen zu treten.“

Danach trat er zunächst dem „Bund deutscher Offiziere“ und dann dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“ bei. Paulus‘ Rolle war enorm groß, denn er schrieb nicht nur Appelle und trat nicht nur im Rundfunk auf, sondern unterzeichnete auch Flugblätter, die auf deutsche Schützengräben abgeworfen wurden.

Paulus war einer der Mitverfasser des „Unternehmens Barbarossa“ zum Überfall auf die Sowjetunion. Als Augenzeuge auf dem Nürnberger Prozess verkündete er vom Rednerpult eine äußerst wichtige Tatsache: Die Aggression gegen die Sowjetunion war sehr gründlich vorbereitet worden. Nach seinem Auftritt hatten die Angeklagten kaum noch Chancen, sich zu rechtfertigen.

Die Angeklagten nannten ihn einen Verräter, und Göring geriet in Hysterie.

Wir bedanken uns bei dem Juristen und Völkerrechtsexperten Sergej Miroschnitschenko für die Hilfe bei der Zusammenstellung des Beitrags

Quellen:

  • Stenogramm des Nürnberger Prozesses, Band VI (von Sergej Miroschnitschenko aus dem Englischen übersetzt und zusammengefasst)
  • Arkadi Poltoral. Nürnberger Epilog
  • Alexander Swjaginzw. „Die zwei Gräber von Paulus“
  • Kristina Kurtschab-Redlich. Bericht von Sorja