Wie der Umgang mit den Kriegsgefangenen geregelt wurde

Im Ersten Weltkrieg richteten sich die Seiten nach der Den Haager Landkriegsordnung von 1907. Ihre Punkte betrafen vor allem die Bedingungen für die Unterbringung der Gefangenen und Regeln der disziplinarischen Strafen.

1921 schlug das Internationale Rote Kreuz auf einer Konferenz in Genf vor, eigene Regeln zu entwickeln, die die Haager Konvention ergänzen. 1929 wurde ein Entwurf auf der Diplomatischen Konferenz in Genf vorgelegt. Das Dokument wurde von 53 Ländern unterzeichnet und ratifiziert, einschließlich Deutschlands und Italiens. Japan und Finnland blieben Unterzeichnerstaaten, ratifizierten den Vertrag nicht.

Auch die Sowjetunion unterzeichnete die Konvention nicht. Sie beharrte auf Ermäßigungen für Offiziere und Einhalten des Prinzips des Internationalismus, bei dem Gefangene aus verschiedenen Ländern bei Wunsch vor Ort untergebracht werden können. 1931 verabschiedete die Sowjetunion die eigene „Ordnung über Kriegsgefangenen“, die keinen internationalen Status hatte.

Die deutschen Eroberer nutzten den Fakt der Nichtunterzeichnung der Genfer Konvention durch die Sowjetunion zur Rechtfertigung des unmenschlichen Umgangs mit den Gefangenen im Osten: Die Sowjetunion habe sich dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen nicht angeschlossen. Dementsprechend müsse man nicht die sowjetischen Kriegsgefangenen versorgen, wie dies diesem Abkommen nach Umfang und Qualität entsprechen soll – hieß es in der Direktive von Oberkommando der Wehrmacht vom 6. August 1941 „Über die Versorgung sowjetischer Kriegsgefangenen“.

Dabei ignorierten die Nazis den Artikel 82 der Konvention, wo es darum ging, dass wenn eine der Kriegsparteien im Falle eines Kriegs nicht am Übereinkommen teilnimmt, die Punkte dieses Übereinkommens trotzdem obligatorisch für alle Kämpfenden, die die Konvention unterzeichneten, bleiben. Und ihren geheimen Dokumenten zufolge wurde den Truppen direkt angeordnet, gegen den Gegner hart vorzugehen. Der Bolschewismus sei ein tödlicher Feind des nationalsozialistischen Deutschlands. Deswegen habe der bolschewistische Soldat jedes Recht verloren, als ehrlicher Soldat gemäß der Genfer Konvention behandelt zu werden – hieß es in einer geheimen Anlage zur „Direktive von Oberkommando der Wehrmacht über die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen in allen Gefangenenlagern vom 8. September 1941“.

Quelle

Verordnung des Zentralen Exekutivkomitees und Rats der Volkskommissare Nr. 46 über die Billigung des Entwurfs der Verordnung Zentralen Exekutivkomitees und Rats der Volkskommissare „Verordnung über Kriegsgefangene“, 19. März 1931.  

 

„Tötung der bolschewistisch Verseuchten“      

Nazi-Methoden für die Vernichtung der Gefangenen

Der General der deutschen Abwehr Erwin Lahousen machte Aussagen gegen die Angeklagten, viele von denen direkt bzw. indirekt der Massenausrottung der sowjetischen Kriegsgefangenen schuldig sind. Alle von ihm dargelegten Fakten bestätigen, dass die Deutschen die Forderungen der Genfer Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen, die Deutschland 1934 ratifizierte, absichtlich verletzten.

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Hinrichtung

Lahousen: Der Inhalt umfasste im wesentlichen zwei Gruppen von Maßnahmen, die zu treffen waren, und zwar erstens die Tötung der russischen Kommissare und zweitens die Tötung aller jener Elemente unter den russischen Kriegsgefangenen, die nach einem Aussonderungsverfahren des SD durchgeführt werden sollte; also: bolschewistisch Verseuchte, beziehungsweise aktive Träger der bolschewistischen Weltanschauung.

Artikel 2 der Genfer Konvention verbietet Repressalien gegen Kriegsgefangene.

Artikel 47 zufolge sollen fehlerhafte Handlungen der Kriegsgefangenen „unvermeidlich bewiesen werden“, das heißt, dass bei ihnen Gerichtsermittlung geführt werden soll. 

Diskriminierung

Lahousen: Von Reinecke (Leiter des Dienstes für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen – Anm.d.Red.) wurde der Standpunkt vertreten, dass auch in den Lagern die Behandlung natürlich nicht so fein sein könne und dürfe wie etwa die Behandlung gefangener Soldaten der alliierten Mächte, sondern dass auch hier entsprechende unterscheidende Grundsätze, wie schon erwähnt, angewendet werden müssten. Es könne also nicht darauf verzichtet werden, dass die Lagermannschaften mit Peitschen ausgerüstet werden, und dass sie das Recht bekämen, bei dem geringsten Anschein, sei es eines einfachen Fluchtversuchs oder irgendeiner sonstigen unerwünschten Handlung, von der Waffe Gebrauch zu machen.

Artikel 46 der Genfer Konvention verbietet “jede körperliche Strafen… bzw. jede Erscheinungen der Grausamkeit“.

Unerträgliche Bedingungen

Lahousen: Enorme Massen von Kriegsgefangenen blieben im Freien ohne jede angemessene Betreuung, und zwar Betreuung im Sinne des Kriegsgefangenenabkommens; ich meine Unterbringung, Verpflegung, ärztliche Betreuung und dergleichen; es gab keine angemessene Verpflegung, keine ärztliche Betreuung, keine angemessene Unterbringung; die meisten von ihnen mussten auf dem nackten Boden schlafen, so dass sehr viele von ihnen ums Leben gekommen sind.

Laut Artikel 7 der Konvention sollen Gefangene aus dem Gebiet der Kampfhandlungen in kürzester Frist evakuiert werden.

Artikel 10 regelt die Unterbringung der Kriegsgefangenen „in Gebäuden bzw. Baracken, die umfangreiche Garantien der Hygiene und Gesundheit bieten“. 

Im Artikel 11 geht es um die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln, die in puncto Qualität und Menge der Essensration für die Militärs in Garnisonen identisch sind.

Verpflegungsration für sowjetische Gefangenen

Laut der deutschen Verordnung „Lebensmittelnormen für sowjetische Kriegsgefangenen“ vom 8. Oktober 1941 sollten sowjetische Kriegsgefangenen mit doppelt so wenig Lebensmitteln wie Gefangene aus anderen Ländern versorgt werden.

Verpflegung für 28 Tage für sowjetische Kriegsgefangene

Prozent der Ration für die Gefangenen aus anderen Ländern

  • für jene mit schwerer Arbeit:

Brot 9 kg - 100%

Fleisch 800 g - 50%

Fett 250 g - 50%

Zucker 900 g - 100%

  • für jene mit weniger schwerer Arbeit:

Brot 6 kg - 66%

Fleisch 0 kg

Fett 440 g - 42%

Zucker 600 g - 66%

 

Wassilina Warzaba

Quellen

Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen 1929

Stenogramm des Nürnberger Prozesses. Band I, VI / Übersetzt aus dem Englischen und erstellt von Sergej Miroschnitschenko, 2018.