General der deutschen Abwehr sagt über systematische Tötung der sowjetischen Kriegsgefangenen aus

Am 30. November und 1. Dezember befragte das Gericht den ersten Zeugen im Prozess. Generalmajor Erwin Lahousen redete über einige Episoden der Nazi-Küche und die Orte, wo die Pläne für die Ausrottung der polnischen Bevölkerung und sowjetische Kriegsgefangenen geschmiedet wurden. 

Erwin Lahousen leitete von 1935 bis 1938 den österreichischen Evidenz- und Informationsdienst. Nach dem Anschluss Österreichs und der Übernahme in die deutsche Wehrmacht  wurde Lahousen zum stellvertretenden Chef der Abwehrabteilung I ernannt. Der Leiter der Abwehr der deutschen Wehrmacht war Wilhelm Canaris, der den Prozess nicht mehr erleben konnte – er wurde im April 1945 wegen Verbindung mit dem britischen Abwehrdienst hingerichtet. Damit blieb Lahousen einer der wenigen am Leben gebliebenen Zeugen, die über die Vorbereitung der militärischen Aggression Bescheid wussten und bereit waren, auf der Seite der Anklage aufzutreten. 

Lahousen war Augenzeuge und unmittelbarer Teilnehmer der Treffen mit Hitler, Außenamtschef Joachim von Ribbentrop und den Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel und Alfred Jodl.

Am 12. September 1939 war Lahousen unter Hitlers Begleitern bei dessen Reise nach Polen, das sich damals gegen die Offensive der Deutschen wehrte. Die Gespräche im Waggon Hitlers wurden im Tagebuch von Canaris festgehalten. Es handelte sich um die Aufteilung Polens und um Pläne zur Ausrottung der polnischen Intelligenz, Adeligen und Geistlichen.

Die Notizen Canaris’ wurden vom Militärgerichtshof als Beweis zu den Akten gelegt. Lahousen zitierte im Zeugenstand die prophetische Phrase von Canaris, die er am damaligen Tag sagte und in seinem Tagebuch aufschrieb:

„Für diese Methoden wird einmal die Welt auch die Wehrmacht, unter deren Augen diese Dinge stattfinden, verantwortlich machen.“

Lahousen wurde vom US-Juristen John Amen befragt. Als der Augenzeuge vom Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und von seinem Wunsch, außergerichtliche Hinrichtungen zu verhindern, sprach, schlossen sich der Befragung sowjetische Ankläger an. Roman Rudenko stellte zahlreiche Fragen an Lahousen, von denen einige sehr emotional waren: Ein gewöhnliches Thema ihrer Besprechungen seien Morde, Erschießungen u.a. gewesen; was sagte Müller? Wie erfolgten Erschießungen, wie wurden ihre Proteste berücksichtigt? – diese Fragen stellte Rudenko an Lahousen.

Weiterhin wird es im Laufe des Prozesses noch mehrmals um Verbrechen gegen sowjetische Kriegsgefangene gehen. Im Februar 1946 wird Juri Pokrowski, der stellvertretende sowjetische Chefankläger, zu diesem Thema zurückkehren. Er wird das Den Haager Übereinkommen von 1899 zitieren - die Kriegsgefangenschaft sei nicht mehr ein Akt der Barmherzigkeit seitens des Siegers – das sei das Recht des Wehrlosen. Nach drei Jahren wird das „Recht des Wehrlosen“ in der neuen III. Genfer Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen konkretisiert.

Wassilina Warzaba

 

Quelle:

Stenogramm des Nürnberger Prozesses. Band I, VI / Übersetzt aus dem Englischen und erstellt von Sergej Miroschnitschenko, 2018.