Revisionisten haben bis heute Zweifel an der Echtheit des Hoßbach-Protokolls

Am 26. November um 10 Uhr trat US-Jurist Sidney Alderman an die Bank der Ankläger. Seine Aufgabe bestand darin, dem Gericht zu beweisen, dass Deutschland den Krieg lange vor dessen Beginn plante. Alderman legte dem Tribunal die sogenannte Hoßbach-Niederschrift vor – „das bemerkenswerteste und entlarvendste Dokument von denen, die ergriffen wurden“. Den Inhalt und Wert des Dokuments kommentiert der wissenschaftliche Mitarbeiter des St. Petersburger Instituts für Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften und Spezialist für Nazi-Kriegsverbrechen, Dmitri Astaschkin.

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Am 5. November 1937 führte Hitler in Berlin eine geheime Sitzung zu den Problemen der Militärindustrie durch. Beim Treffen in der Reichskanzlei waren nur sechs Menschen anwesend – die höchste Militärführung und der Außenminister Konstantin von Neurath. Es wurde kein Stenogramm erstellt, doch Hitlers Adjutant, Oberst Friedrich Hoßbach, machte während der Sitzung Notizen in seinem Tagebuch. Nach fünf Tagen fertigte Hoßbach, gestützt auf seinen Notizen, eine Niederschrift des Treffens an.

Dieses Dokument bestätigt, dass Hitler die Generäle auf einen Krieg polte, während er in öffentlichen Auftritten allen seine Friedfertigkeit zusicherte. Die Ergebnisse des Treffens bat er, als sein „politisches Testament“ zu bezeichnen.

Auf der Sitzung sprach Hitler davon, dass Nazi-Deutschland seinen „Lebensraum“ durch die Länder Mitteleuropas vergrößern müsse.

„Der Führer wollte den Lebensraum der Deutschen auf Kosten Österreichs und der Tschechoslowakei erweitern. Hitler meinte, dass diese Operation keine militärische Antwort Englands und Frankreichs auslösen wird“, so Dmitri Astaschkin.

Die Teilnehmer des Treffens besprachen drei mögliche Pläne zur Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei. Mit der Unterordnung dieser Länder sollte Deutschland zusätzliche Lebensmittel und die Möglichkeit zur Bildung weiterer Armeen für eine weitere Offensive bekommen. Hitler gab zu, dass dieser Angriffsplan offenbar auf Widerstand stoßen und zu einem großen Krieg führen würde, doch er war davon überzeugt, dass man das Risiko eingehen sollte.

Nicht einverstanden mit Hitler waren Reichskriegsminister Werner von Blomberg und Generaloberst Werner von Fritsch, die keinen Konflikt mit England und Frankreich wollten.

„Nach drei Monaten entlässt Hitler von Blomberg und von Fritsch angeblich aus gesundheitlichen Gründen. In der Tat war ihre Entlassung das Ergebnis von Erpressung. Blomberg wurde damit gedroht, eine alte Klage gegen seine Frau wegen Prostitution wiederaufzunehmen, und Werner von Fritsch wurde damit gedroht, die vor Gericht abgelehnte Klage wegen Homosexualität wiederaufzunehmen“, so Astaschkin.

Indem der stets auf Vorsicht bedachte Außenminister von Neurath durch den dienlichen Nazi von Ribbentrop ersetzt wurde, bekam Hitler noch mehr Macht. Werner von Blomberg wird den Krieg bereits als Rentner erleben, Werner von Fritsch kommt am 22. September 1939 bei Warschau ums Leben, Hoßbach wird General und wird die Armee bei Kämpfen gegen die Sowjetunion anführen.

Bei den Nürnberger Prozessen wurden drei Teilnehmer des Treffens zu Angeklagten – der ehemalige Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring, der ehemalige Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Erich Raeder und der ehemalige Außenminister von Neurath. Zeuge im Prozess war von Blomberg.

Die Verteidigung wollte die Bedeutung des Dokuments herunterspielen. Der Anwalt Ribbentrops, Martin Horn, sagte, dass Menschen, die Hitler kannten, sich an dessen extravagante Ideen in Form der sich manchmal wiederholenden und unerwarteten Reden gewöhnt hatten, und sie das angesichts seiner Besonderheiten nicht ernst nahmen. Als Gegengewicht zu diesen Dokumenten könnte man eine Reihe von Reden vorlegen, bei denen Hitler vom Gegenteil sprach.

Für Zweifel sorgte selbst der Fakt der Echtheit des Dokuments. Die Amerikaner wurden der Fälschung verdächtigt.

„1943 machte Oberst Graf von Kirchbach eine Kopie des Hoßbach-Protokolls, doch nach dem Krieg ist das Dokument Kirchbachs verschwunden. Dieser Umstand ließ die Kritiker behaupten, dass die Notizen Hoßbachs, die im Prozess vorgelegt wurden, sich nach dem Inhalt stark vom Original unterscheiden“, so Astaschkin. Revisionisten warfen den Amerikanern Fälschung vor.

„Wir bekamen das Dokument via US-Außenministerium und durch Stempel des US-Außenministers beglaubigt“, sagte Alderman. „Die realen Ereignisse entwickelten sich etwas anders, als bei diesem Treffen geplant war, doch die beim Treffen erklärten Ziele waren erfüllt worden. Das Dokument beseitigt jede Zweifel an der Absichtlichkeit der Nazi-Verbrechen gegen die Welt.“

1989 wurde die Kopie, die 1943 von Kirchbach gemacht wurde, in zuvor nicht zugänglichen britischen Archiven entdeckt. Ihr Inhalt entsprach genau dem Dokument, das bei den Nürnberger Prozessen vorgelegt wurde.

Dennoch wird bis heute über das Hoßbach-Protokoll diskutiert. Rudolf von Ribbentrop schrieb in einem Buch über den Vater, dass der Originaltext Hoßbachs verschwunden sei, dass Hoßbach falsche Zitate Hitlers angeführt habe. Er wiederholt damit die Äußerungen Görings, der während der Befragung am 14. März 1946 sagte, dass Hoßbach Chefadjutant des Führers gewesen sei, weshalb er bei dem Treffen anwesend war und Notizen machte. Nach fünf Tagen erstellte er dieses Protokoll auf Grundlage seiner Notizen. Somit sind Fehler bei den Notizen vorprogrammiert, wenn diese nicht sofort von Stenografen gemacht werden, und außerdem eine subjektive Deutung enthalten. Einige Punkte entsprechen exakt den Aussagen Hitlers, doch es gibt auch Punkte und Äußerungen, die wohl nicht von Hitler stammen.

Allerdings gaben alle Angeklagten die Echtheit des Protokolls im Ganzen zu. Die Pläne Hitlers zur Entfesselung des Krieges wurden durch viele Dokumente bestätigt – doch das Hoßbach-Protokoll war eines der ersten und überzeugendsten.

Daniil Sidorow

AUSKUNFT

„Das war konzentrierter politischer Wahnsinn“

„Das Hoßbach-Protokoll beweist, dass Hitler schon 1937 aggressive Kriegspläne hatte. Als sich die Angeklagten mit dem Dokument vertraut machten, mussten sie sich sehr wundern. Oder taten so, als wären sie überrascht.
  • Jodl: „Ich hatte damals keine Ahnung davon.“
  • Seyß-Inquart: „Ich  hätte  mir  ganz  gewiss zweimal überlegt mitzumachen, wenn ich nur 1937 gewusst hätte, dass er derartige Äußerungen gemacht hatte!“
  • Schirach: „Dieses Dokument ist ein konzentrierter politischer Wahnsinn.“
  • Frank: „Wartet nur, bis das deutsche Volk das gelesen hat  und  den  Dilettantismus  erkennt,  mit  dem  der  Führer  sein Schicksal besiegelte!“
  • Göring: „Ach Unsinn! Und wie steht es um die amerikanische Einverleibung von Texas  und  Kalifornien?  Das  war  auch  reiner  Angriffskrieg  zum Zweck territorialer Ausdehnung!“
  • Ribbentrop: „Wenn die Alliierten uns nur im Versailler Vertrag  eine  kleine  Chance  gelassen  hätten, Sie hätten niemals von Hitler gehört.
  • Fritsche: „Jetzt  verstehe  ich,  warum  von  einer  Verschwörung die  Rede  ist;  ich  werde  meine  Stellungnahme  zur  Anklageschrift ändern müssen.“
  • Franks Sicht: „Wir sitzen  dem  Gericht  gegenüber.  Und  schweigend flutet  der  endlose  Zug der  Toten  vorbei.  Ohne  Unterbrechung. Bleich  und  farblos, ohne  Laut  fließt  der  Strom  des  Elends  im trüben  gelblich-grauen  Licht  der  Ewigkeit  dahin.  Sie  alle,  alle wogen weiter  ohne  Pause, in  trüben Dunst  gehüllt,  getrieben von den  Flammen  der  Qual der Menschheit – hierhin – dorthin – hierhin – weiter  und  weiter,  und  es  ist  kein  Ende  zu  sehen  ...  Die Menschen, die in diesem Krieg dem Leben entrissen wurden, sind die  grausamste  Beute  des  Todes,  der  voller  Hass und  Zerstörungslust  wütete – Jung  und  Alt,  Wachsen  und  Gedeihen,  Stolz  und Demut ...   Dort   gehen sie – Polen,   Juden,   Deutsche,   Russen, Amerikaner, Italiener – alle  Nationen,  sie  bluten  und  schwinden dahin. Und einer brüllt: Dieser Krieg muss sein, denn nur so lange  ich  lebe,  kann  er  kommen!“

Quelle:

Gustave Gilbert, „Nürnberger Tagebuch“