Am 23. Mai begann das Verhör von Baldur von Schirach, der wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde. Schirach war vor allem wegen seiner Funktion als Reichsjugendführer von Interesse.
Schirach stammte aus einer adeligen Familie. Am 29. August 1925 trat er der NSDAP bei, machte rasant Karriere. Seit 1931 war er Anführer der deutschen Jugend. 1936 einigte er sich mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler darauf, die Hitlerjugend-Mitgliedschaft zur obligatorischen Bedingung für die Aufnahme von Nachwuchskräften in die SS zu machen. Schirach machte die Organisation zur zahlenmäßig größten in Deutschland – 97 Prozent der jungen Wehrpflichtigen waren Mitglieder der Hitler-Jugend. Ihm wurde mehrmals vorgeworfen, moralisch nicht integer genug zu sein, doch Hitler schützte Schirach und machte ihn zum Gauleiter Wiens. Dort befasste er sich in erster Linie mit der „jüdischen Frage“.
Vor Gericht erklärte sich Schirach zum Anhänger der Ideen und Werke Goethes. Er behauptete, dass er ausschließlich eine Sport-Pfadfinder-Organisation leitete, die sich nie mit militärischen Vorbereitungen befasste. Er hätte jegliche Manöver-Spiele in der Hitlerjugend gehasst und nie Offiziere unter seinen Mitarbeitern gehabt, gab er vor Gericht an. Die Schuld für die Erziehung junger Nazi-Fanatiker wollte er auf seinen Nachfolger, Reichsleiter Arthur Axmann, abwälzen.
Die Verteidigung Schirachs wird durch dokumentarische und sachliche Beweise sowie Zeugenangaben in Stücke zerlegt. Er wurde Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig erklärt und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er saß die gesamte Haftstrafe im Militärgefängnis Spandau ab. Im September 1966 wurde er freigelassen. Nach neun Jahren wurden seine Memoiren „Ich glaubte an Hitler“ veröffentlicht. Er starb im Jahr 1974.
Schirach und seine Ehegattin wurden die Elternrechte entzogen. Ihre Kinder wurden in staatlichen Kinderheimen großgezogen.
Quelle:
Konstantin Salesski. Anführer und Kriegsherren des Dritten Reichs – Moskau, Verlag „Wetsche“, 2000