Am 5. Mai fand in Frankreich ein Referendum zur neuen Verfassung statt. Knapp 80 Prozent aller wahlberechtigten Einwohner des Landes gaben ihre Stimme ab.
Der Volksentscheid zeigte, dass das Land hinsichtlich seiner Zukunft zur Hälfte gespalten war: 53 Prozent der Franzosen lehnten den ihnen von Charles de Gaulles Anhängern vorgelegten Verfassungsentwurf der Vierten Republik ab. Das Dokument sah vor, dass der Präsident des Landes alle Machtinstrumente in seinen Händen haben würde.
Nach der Katastrophe von 1940, als die Machthaber ihre absolute Unfähigkeit zur Verteidigung des Landes gezeigt hatten, waren alle politischen Kräfte in Frankreich kritisch gegenüber den früheren Machtinstitutionen eingestellt. Das Profil der künftigen Vierten Republik auf politischer und Verwaltungsebene rief heftige Debatten hervor.
Für eine Präsidialrepublik votierten die Anhänger Charles de Gaulles, die von seinem Sieg bei einer Präsidentschaftswahl überzeugt waren. Seine Gegner fürchteten allerdings, dass er in diesem Fall uneingeschränkte Macht bekommen würde. Die Linken hatten einen eigenen Verfassungsentwurf eingebracht, der enorme Befugnisse des Parlaments vorsah, in dem es nur eine Kammer geben würde. Die Gemäßigten und die Konservativen traten vehement gegen den Verfassungsentwurf der Anhänger General De Gaulles auf.
Die Spaltung in der französischen Gesellschaft konnte mehrere Monate später überwunden werden: Am 2. Juni wurde die Verfassunggebende Versammlung gegründet, die einen neuen Verfassungsentwurf formulieren sollte. Die Verfassung wurde beim nächsten Referendum gebilligt, das am 13. Oktober 1946 stattfand. Damit wurde Frankreich eine parlamentarische Republik, und die Macht des Präsidenten war nicht allzu groß.
In den zwölf Jahren des Bestehens der Vierten Republik gab es im Land ganze 25 Regierungen. Trotz der hohen Inflation begann in dieser Zeit der wirtschaftliche Aufschwung, und die innere Wirtschaftspolitik war mehr sozial ausgerichtet im Vergleich zu den früheren Jahren. Gleichzeitig brach Frankreichs koloniales Reich de facto zusammen; es kam zur Algerien-Krise, und am Ende bekam De Gaulle die Möglichkeit, das Amt des Präsidenten zu übernehmen.
Unter seiner unmittelbaren Führung wurde die Verfassung der Fünften Republik erstellt, die heute noch in Kraft ist. Im Oktober 1958 wurde De Gaulles Verfassungsentwurf auf einem Referendum befürwortet, und Frankreich wurde zum präsidial-parlamentarischen Staat.
Quelle:
Marina Arsakanjan „De Gaulle und Gaullisten auf dem Weg zur Macht“