Die ganze Welt erwartete von Josef Stalin eine Antwort auf Winston Churchills Auftritt in Fulton. Der sowjetische Staatschef erhielt von der Nachrichtenagentur TASS unverzüglich das Stenogramm der Rede des britischen Premiers. Als erfahrener Politiker verfolgte er die Reaktionen auf die Worte seines ehemaligen Verbündeten und ließ zunächst auf seine Antworten warten.

Die erste indirekte Antwort erschien am 11. März in der Zeitung „Prawda“, nämlich im Artikel „Churchill rasselt mit dem Säbel“ des sowjetischen Historikers Jewgeni Tarle. Der Ton und die Redewendungen, die für das intelligente Akademiemitglied eher untypisch waren („Er hat’s übertrieben“, „Er reitet seinen alten Ross“, „Er holt weit aus“ usw.) lassen vermuten, dass der Artikel in Wahrheit von Stalin geschrieben oder wenigstens redigiert wurde: Dem Autor zufolge hätte Churchill „auf die alte Diffarmierung der Sowjetunion zurückgegriffen und versucht, der ganzen Welt mit den Schrecken der sowjetischen ‚Expansion‘ Angst zu machen, wie er das schon vor mehr als 20 Jahren getan hatte.“

Am 14. März gab Stalin ein Interview für  die Zeitung „Prawda“ – das war schon seine unmittelbare Antwort auf Churchills Fulton-Rede. Das Interview enthielt einige Thesen, die für mehrere Jahrzehnte zu den Weichen der sowjetischen Propaganda werden sollten. Stalin bewertete Churchills Auftritt als „eine gefährliche Aktion, die darauf ausgerichtet ist, die Spaltsamen zwischen den Alliierten zu säen und ihr Zusammenwirken zu behindern.“

In dem Interview erweiterte Stalin den Kreis der Missgönner der Sowjetunion: „Im Grunde steht Churchill jetzt auf der Position des Kriegsstifters. Und da steht Churchill nicht allein – er hat Freunde nicht nur in England, sondern auch in den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Der sowjetische Herrscher verglich den britischen Premier und dessen Gleichgesinnte mit den Nazis: „Ich muss sagen, dass Churchill und seine Freunde in diesem Sinne Hitler und dessen Freunden erstaunlich ähnlich sind. Hitler entfesselte einst den Krieg, indem er die Rassentheorie ausrief und erklärte, dass nur die Menschen, die Deutsch sprechen, eine vollwertige Nation wären. Auch Churchill entfesselt den Krieg mit der Rassentheorie, indem er behauptet, dass nur die Nationen, die Englisch sprechen, vollwertig seien und berufen seien, die Geschicke der ganzen Welt zu bestimmen.“

Das Interview enthielt auch Behauptungen, die nur für das sowjetische Publikum bestimmt waren: „In England herrscht jetzt bekanntlich nur eine Partei: die Labour Party, wobei die Oppositionsparteien kein Recht haben, sich an der englischen Regierung zu beteiligen. Bei Churchill heißt das ‚wahrer Demokratismus‘. In Polen, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Ungarn herrschen Blöcke, die aus mehreren Parteien bestehen – von vier bis sechs Parteien. Dabei dürfen die Oppositionskräfte, wenn sie mehr oder weniger loyal sind, an der Regierung teilnehmen.“

Zum Schluss erinnerte Stalin seine Opponenten an das Scheitern der Entente-Intervention während des Bürgerkriegs in der Sowjetunion: „Ich weiß nicht, ob es Churchill und seinen Freunden gelingt, nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Kriegszug gegen Osteuropa zu organisieren. Aber falls ihnen das gelingen sollte (was unwahrscheinlich ist, denn Millionen ‚einfache Menschen‘ werden den Frieden verteidigen), dann kann man mit Sicherheit sagen, dass sie genauso geschlagen werden, wie sie schon früher, vor 26 Jahren, geschlagen wurden.“

Dieses Interview hatte zu bedeuten, dass Churchills Herausforderung angenommen wurde. Danach wurde der Kalte Krieg Realität – für 45 Jahre.

 

Quelle:

Zeitung „Prawda“, Nr. 62 (10144), 14. März 1946.