Am 8. März 1946 lud Görings Verteidiger Otto Stahmer Erhard Milch, eine der Führungskräfte der deutschen Luftwaffe, als Entlastungszeugen vor.

Milch, dessen Vater Jude war, hatte es geschafft, den Rang eines Generalfeldmarschalls zu erreichen. Als Zeuge berichtete er zunächst von der Entstehung der Luftwaffe und den freundschaftlichen Beziehungen zu den westeuropäischen Ländern. Anschließend schilderte er die Ereignisse des Jahres 1939. Er betonte in jeder Hinsicht, dass der Beginn des Zweiten Weltkriegs und insbesondere der Angriff auf die Sowjetunion eine persönliche Initiative Hitlers gewesen sei, zu der die militärische Führung des Dritten Reichs sich zurückhaltend verhalten habe.

Milch war ein eifriger Verteidiger von Hermann Göring. Bereits seit der Besetzung des Rheinlands habe er immer wieder den Eindruck gehabt, Göring befürchte, dass Hitlers Politik einen Krieg zur Folge haben würde, betonte Milch. Seiner Ansicht nach sei Göring selbst gegen den Krieg gewesen.

Milch behauptete, er habe Göring angeregt, mit Hitler noch einmal darüber zu reden, der Reichsmarschall habe seinen Vorschlag jedoch als völlig hoffnungslos bezeichnet.

Milch sagte aus, er habe von Göring nie etwas von einem groß angelegten Plan zur Führung eines umfassenden Krieges gehört. Allerdings hätte auch niemand davon hören müssen, da Hitler alle Angriffe, mit Ausnahme des Polenfeldzuges, im Geheimen geplant habe, ohne seine Generäle in Kenntnis zu setzen.

Auch die Beteiligung Görings an medizinischen Experimenten an KZ-Häftlingen wies Milch zurück.

Der US-Chefankläger Robert Jackson sagte in Bezug darauf, dass der Zeuge keine Informationen über die Materie habe, nichts von den als Beweis zugelassen Befehlen wisse und daher Görings Motive nicht beurteilen könne. „Ich denke, wir sind sehr liberal darin, jegliche derartige Aussagen zuzulassen, aber ich glaube nicht, dass dies in die Kategorie der angemessenen Zeugenaussagen fällt“, äußerte Jackson.
Während des Kreuzverhörs legten die US-Amerikaner Milch Dokumente vor, die seine Aussage widerlegten (dass beispielsweise Göring als Chef der Luftwaffe angeblich keine Kenntnis vom Einsatz von KZ-Häftlingsarbeit in Rüstungsbetrieben gehabt hätte). Letztendlich konnten die Ankläger trotz Milchs Bemühungen seine Aussagen gegen die Angeklagten verwenden.

Erhard Milch war eine einzigartige Persönlichkeit in der NS-Führung. Er diente während des Ersten Weltkrieges in den Fliegertruppen. Er arbeitete für die von Hugo Junkers gegründete Danziger Luftpost und war Mitbegründer der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft.

Als Milch 1928 Exekutivdirektor der Deutschen Lufthansa wurde, begann er sofort, politisch zu investieren: Er zahlte jeden Monat große Summen persönlich an Göring und schenkte Hitler ein Flugzeug.
Nach der Machtergreifung durch die Nazis bot Göring ihm den Posten des Staatssekretärs des Reichsluftfahrtministeriums an. In Bezug auf Milchs halbjüdische Abstammung soll der Reichsmarschall gesagt haben:

„Wer Jude ist, bestimme ich“.

Im Auftrag der Nationalsozialisten sorgte Milch für eine qualitativ hochwertige Rekordproduktion von Flugzeugen, organisierte die Luftfahrtinfrastruktur und war fachkompetent in allen damit verbundenen Bereichen. Im Jahr 1940 wurde er zum Generalfeldmarschall befördert. Im Juni 1944 trat Milch zurück, im Mai 1945 wurde er von Soldaten der britischen Armee festgenommen – bei seiner Verhaftung versuchte er, die britischen Militärpolizisten mit seinem Marschallstab abzuwehren.

Ein Jahr später wurde Milch wegen Förderung der Zwangsarbeit und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern in den NS-Flugzeugfabriken angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt, die bald aber in eine 15-jährige Freiheitsstrafe umgewandelt wurde. 1954 wurde er aus dem Gefängnis entlassen.