Am 15. Februar 1946 berichtete der US-Militärpsychologe Gustave Gilbert, der mit den Angeklagten arbeitete, diesen nach einer Abendsitzung im Justizpalast von neuen Regeln. Fortan waren jegliche Kontakte zwischen den Angeklagten außerhalb des Gerichtssaals verboten. Bislang konnten sie beim Mittagessen zwischen den Vormittags- und Abendsitzungen und bei Spaziergängen im Gefängnishof kommunizieren.

Die US-Administration traf diesen Beschluss, um den Einfluss Hermann Görings auf die anderen Angeklagten zu verhindern. Deutschlands Nazi Nummer zwei setzte sie unter Druck – er forderte Aussagen zu seinen Gunsten vor Gericht. Göring demonstrierte, dass er seinem verstorbenen Führer nach wie vor ergeben war und drängte die anderen auch dazu. Einige Angeklagte sagten Gilbert, dass Göring sie wie ein Tyrann behandelte. Deshalb nahmen sie die neuen Regeln erleichtert wahr. Sehr gut, dass man getrennt worden sei, nun könne man mehr davon, was man habe sagen wollen, sagen, gab Albert Speer zu.

Der Kommandant des Gefängnisses, Oberst Burton Andrews, bat Gustave Gilbert, eine neue Tischordnung für die Mittagsmahlzeit der Angeklagten zu erstellen. Diese Ordnung basierte auf den psychologischen Eigenschaften der Angeklagten. Es waren sechs Bereiche. Der letzte war eigens für Göring.

„1.Junioren-Essraum: Speer, Fritzsche, Schirach, Funk (womit erreicht werden sollte, dass Speer und Fritzsche dem Einfluss Görings entzogen werden und Schirach die Gelegenheit zur Erklärung erhält, dass Hitler die deutsche Jugend betrogen habe und die Rassenpolitik eine Katastrophe für Deutschland gewesen sei).

2.Senioren-Essraum: Papen, Neurath, Schacht, Dönitz (hier sollten die alten Konservativen, ermuntert von Schacht, die Möglichkeit erhalten, Hitler und Ribbentrop die Schuld zu geben, und Dönitz sollte von ihnen beeinflusst werden, damit er nicht weiterhin in Konflikt mit seiner «Offiziersehre» wäre).

3.Frank, Seyss-Inquart, Keitel, Sauckel (Keitel sollte von Göring getrennt werden und einen Vorgeschmack von Franks leidenschaftlichen Vorwürfen gegen Hitler, Verdrängung der Schuld und Geständnisbereitschaft erhalten. Im Allgemeinen eine Gruppe, die sich nicht viel unterhalten, aber gelegentlich zeigen würde, dass sie sich ihrer Schuld bewusst ist).

4.Raeder, Streicher, Hess, Ribbentrop (die widerborstigen Nazis, die aber keine Gelegenheit für verbotene Unterhaltungen haben würden, und zwar wegen der Anwesenheit von Streicher und der Geheimnistuerei von Hess, wegen Raeders Bedachtheit auf Geheimhaltung und Ribbentrops Hoffnungslosigkeit – was sie auf die Dauer neutralisierte).

5.Jodl, Frick, Kaltenbrunner, Rosenberg.

6.Göring.“

Quelle:

Gustave Gilbert. Nürnberger Tagebuch