Die Sitzung am 11. Februar 1946 hatte für die sowjetische Anklage eine Schlüsselbedeutung im Rahmen des Nürnberger Prozesses. Dabei ging es nicht nur um das Verhör des deutschen Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus, der am „Unternehmen Barbarossa“ mitgewirkt hatte.

Der Assistent des sowjetischen Chefanklägers, Nikolai Sorja, legte dem Tribunal ein Dokument vor, das die Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion noch im Jahr 1940 bewies.

„(…) Die Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion lief auch Hochtouren, und zwar mit typisch deutscher Akribie“, erklärte Sorja. Diesen Schluss hat er aus einer schriftlichen Erklärung des Generalleutnants der Wehrmacht Vincenz Müller gezogen, den er auch zitierte.

„Die Vorbereitung auf den Angriff gegen die Sowjetunion begann noch im Juli 1940. (…) Im Juli wurde der Stab der Heeresgruppe B in den Osten (Posen) verlegt. (…) Unmittelbar nach dem Westfeldzug gab das Oberkommando des Heeres den Befehl zur Demobilisierung von 20 Divisionen. Dieser Befehl wurde außer Kraft gesetzt, und die 20 Divisionen wurden nicht demobilisiert. Stattdessen durften sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland Urlaub machen und blieben damit einsatzbereit für den Fall einer dringenden Mobilmachung.

Die beiden Dinge – die Verlegung von etwa 500 000 Soldaten an die Grenze zu Russland und die Aufhebung des Befehls zur Demobilisierung von etwa 300 000 Soldaten – beweisen, dass es schon im Juli 1940 Pläne für Kriegshandlungen im Osten gab. (…)

Im Vordergrund stand die Frage der Ausbildung der Truppen und der Generalstabsoffiziere entsprechend diesem Plan.

Ende Januar 1941 wurde ich auf einen telegrafisch erteilten Befehl des Generalstabschefs Halder hin zu Kriegsspielen in St. Germain (bei Paris) verlegt – in die Heeresgruppe von Rundstedt. Die Aufgabe bei diesen Kriegsspielen war eine Offensive aus Rumänien und Südpolen in Richtung Kiew bzw. südlich der Stadt. Dabei rechnete man mit der Beteiligung auch der rumänischen Truppen. Im Großen und Ganzen entsprach diese Übung den Bedingungen des künftigen Befehls zur strategischen Truppenentfaltung. (…)

Sie zeigte die Notwendigkeit einer starken Konzentration der Panzertruppen.“ 

General Müller hatte diese Erklärung in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager am 8. Januar 1946 geschrieben. Dieser Teilnehmer der beiden Weltkriege machte nach der Rückkehr aus dem Krieg Karriere in der Volksarmee der DDR. 1952 wurde Vincenz Müller zum Generalleutnant ernannt. Er starb 1961.

Quelle:

Sergej Miroschnitschenko. „Stenogramm des Nürnberger Prozesses“, Band IV