Am 8. Februar 1946 übernahm die sowjetische Anklage den „Staffelstab“ von ihren französischen Kollegen, und am Rednerpult erschien der Chefankläger im Namen der Sowjetunion, Roman Rudenko.
Mit seiner Rede wurde der vierte und letzte Block der Beweislage für die Verbrechen eröffnet, die deutsche Kriegsverbrecher begangen hatten.
„Ich bin nicht in der Lage, in meiner Einführungsrede die Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuzählen, die die Angeklagten begangen haben. Die sowjetische Anklage verfügt über beträchtliche Dokumente, die dem Gericht vorgelegt werden.
Sehr geehrte Richter! Ich trete hier als Vertreter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf, die die größte Last der Schläge der faschistischen Okkupanten übernehmen musste und einen riesigen Beitrag zur Zerstörung von Hitler-Deutschland und dessen Satelliten geleistet hat. Im Namen der Sowjetunion lese ich die Anklage gegen die Angeklagten im Sinne aller Punkte des Artikels 6 der Satzung des Internationalen Militärgerichtshofs vor.
Neben den Chefanklägern der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs klage ich die Angeklagten an, den barbarischen Überfall auf die Völker meines Landes und auf alle freiheitsliebenden Völker vorbereitet und umgesetzt zu haben.
Ich klage sie an, den Weltkrieg wider die wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts und die von ihnen unterzeichneten Verträge entfesselt und den Krieg in eine Waffe zur Massenvernichtung von friedlichen Menschen, in eine Waffe zu Raub, Gewalt und Plünderung verwandelt zu haben.
Ich klage die Angeklagten an, als Vertreter der selbsternannten Herrenrasse überall, wo ihre Macht durchdrang, ein Regime von Willkür und Tyrannei etabliert zu haben, ein Regime, das sich auf die Verletzung der Grundlagen der Menschlichkeit stützte.
Jetzt, wo Hitler-Deutschland dank dem heldenhaften Kampf der Roten Armee und der Alliierten-Truppen zerstört und niedergeschlagen worden ist, dürfen wir nicht die Opfer vergessen – wir dürfen nicht die Schuldigen an den furchtbaren Verbrechen und deren Organisatoren ungestraft lassen.
Im Namen des heiligen Gedenkens an die Millionen von unschuldigen Opfern des faschistischen Terrors, im Namen der Friedensfestigung in der ganzen Welt, im Namen der Sicherheit der Völker in der Zukunft stellen wir den Angeklagten jetzt die vollständige und gerechte Rechnung aus. Das ist die Rechnung im Namen der gesamten Menschheit, im Namen des Willens und Gewissens der freiheitsliebenden Völker.
Die Justiz muss vollendet werden!“
Quelle:
Sergej Miroschnitschenko. „Stenogramm der Nürnberger Prozesses“, Band VI