Ab Anfang 1946 wenden sich die Ankläger dem Nachweis der individuellen Verantwortung der Angeklagten zu.
Am 11. Januar sagt zum ersten Mal ein KZ-Häftling aus. Es ist der tschechoslowakische Arzt Franz Blaha, der von 1941 bis zur Befreiung von Dachau im KZ gefangen war.
Zunächst liest der amerikanische Ankläger Thomas Dodd Blahas Zeugnis vom 9. Januar 1946 vor. So erfährt das Tribunal, dass der Zeuge Objekt medizinischer Experimente war und später der Obduktionsabteilung des KZ zugewiesen wurde. Blaha berichtet über Experimente mit Meerwasser, Eiswasser, Änderungen des Luftdrucks, über Experimente mit Leberpunktion, Ansteckung mit Eiter und über Operationen an Mägen, Kehlen und Gallenblasen – alles durchgeführt an gesunden Gefangenen. Der Zeuge nennt die verantwortlichen Ärzte und listet hochrangige Beamte auf, die über das Geschehen informiert waren und Dachau mehrmals zur Inspektion besuchten. Zu hören sind die Namen Bormann, Frick, Rosenberg, Funk und Sauckel.
„Während meines Aufenthaltes in Dachau wurden mir zahlreiche medizinische Experimente am Menschen bewusst. Diese Personen haben dem nie freiwillig zugestimmt, sie wurden gezwungen. An mehr als 1200 Insassen wurden Experimente mit Malaria durchgeführt. (...) Himmler hat Dr. Schilling persönlich beauftragt, diese durchzuführen. Die Opfer wurden Mückenbissen unterzogen oder ihnen wurden Malariasporen von Mücken gespritzt. (...) Ich habe die Leichen von Menschen obduziert, die an diesen Experimenten gestorben sind.”
Insgesamt führte Blaha 12.000 Autopsien durch. Er obduzierte unter anderem die Körper von Kindern, schwangeren Frauen, jungen Männern und Frauen. Laut ihm starben Menschen infolge medizinischer Experimente sowie wegen der unhygienischen Bedingungen im Lager, die zu einem Ausbruch von Typhus führten.
Franz Blaha sagte dem Tribunal, dass die sowjetischen Gefangenen in Dachau am schlechtesten behandelt wurden.
Juri Pokrowski (stellvertretender Generalstaatsanwalt der UdSSR): Was wissen Sie über die Hinrichtungen von Sowjetbürgern in diesem Lager?
Blaha: Ich werde nicht weit von der Wahrheit sein, wenn ich sage, dass etwa 75 Prozent aller in diesem Lager hingerichteten Personen russische Staatsbürger waren, und dies galt gleichermaßen für Männer und Frauen, die von anderen Orten zur Hinrichtung (nach Dachau) geschickt wurden.
Dachau war eines der ersten Konzentrationslager in Nazi-Deutschland. Von 1933 bis 1945 waren über 200.000 Menschen Häftlinge im Lager.
Quellen:
Sergej Miroschnitschenko, „Abschrift der Nürnberger Prozesse“, Band IV
Gedenkstätte Yad Vashem