Feldküchen, Impfungen, Milch für Kinder
Die Nürnberger Prozesse bildeten die Grundlage für die Philosophie und die Praxis des Nachkriegs-Humanismus, sie markierten den Beginn einer neuen Welt. Doch die Zeichen dieser Welt zeigten sich schon etwas früher – als die sowjetische Armee in die Hauptstadt des Feindes, das besiegte Berlin, kam, die Fahne über dem Reichstag hisste und Millionen Deutsche vor dem Hungertod rettete.
Wir wissen von den blutigen Kämpfen um Berlin, der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation am 9. Mai und der Aufteilung der Stadt in Besatzungszonen unter den Alliierten. Doch was machten unsere Soldaten zu Beginn, als die zerstörte Stadt und zwei Millionen hungernde Einwohner (seit bereits zwei Wochen wurden keine Lebensmittel ausgegeben) sich dem Sieger ergaben?
Unsere Armee hatte das Recht – moralisch und militärisch –, diese Stadt ihrem Schicksal zu überlassen. Unsere Soldaten werden bisweilen als Plünderer und Mörder dargestellt. Zwei Millionen deutsche Frauen sollen vergewaltigt worden sein, für die wir in den 1990er und 2000er Jahren Buße tun mussten, nicht wahr? Doch alles war viel prosaischer – statt zwei Millionen Deutsche zu vergewaltigen, versorgten russische Offiziere eine Million Kinder mit Essen. Und auch eine Million Frauen und alte Menschen.
Alte, Frauen und Kinder bildeten damals die Bevölkerung Berlins, wo es weder Wasser noch Strom gab. Die U-Bahn stand unter Wasser, die abziehende deutsche Armee sprengte Brücken und Verbindungswege. Auf den Straßen lagen die Reste der zerstörten Gebäude und Leichen von Menschen und Tieren. Die hungernden Einwohner tranken vergiftetes Wasser aus den Flüssen und schnitten Fleisch aus den getöteten Pferden.
Erster Stadtkommandant von Berlin wurde am 24. April 1945 der Generaloberst, Befehlshaber der 5. Angriffsarmee und Held der Sowjetunion Nikolai Bersarin.
Goebbels dachte, dass die Sowjets die deutsche Nation vernichten werden, doch sie begannen zuallererst damit, sie zu ernähren, schrieb später der deutsche Historiker Peter Jahn, der erste Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst und Autor eines Buchs über Nikolai Bersarin.
Die ersten Maßnahmen zur Lebensmittelversorgung wurden bereits Ende April getroffen. Mit dem Vorrücken der sowjetischen Truppen in Berlin wurden Feldküchen eröffnet, an denen friedliche Einwohner kostenlos mit Suppe und Brühe versorgt wurden.
Medikamente und Impfdosen, mit denen Epidemien verhindert wurden, wurden aus der Sowjetunion mit Flugzeugen und Zügen ohne Entgelt geliefert. Im Mai 1945, innerhalb weniger als einem Monat, wurden drei Millionen präventive Impfungen gemacht – und das in einer zerstörten Stadt!
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Es gab nicht nur die Lebensmittelversorgung für die Einwohner. Die Straßen wurden umgehend von den Trümmern gesäubert, es liefen Arbeiten zum Wiederaufbau der Gebäude und Straßen und Kommunikationsverbindungen. Polizei und Feuerwehr wurden eingerichtet. U-Bahn und Straßenbahnen fuhren wieder. Banken und Friseursalons wurden wieder geöffnet. Durch die Einführung des Kartensystems für Lebensmittel wurde ein Schwarzmarkt verhindert. Theater, Kinos und Konzerthallen öffneten ihre Pforten, damit die Berliner schneller die Grausamkeiten des Kriegs vergessen konnten. Bereits am 1. Juni wurden Schulen und Kindergärten wieder geöffnet. Kinder unter acht Jahren erhielten zusätzliche Milch. Nirgendwo im Nachkriegsdeutschland kehrte man so schnell zum friedlichen Leben zurück wie in Berlin.
Das ist keine Geschichte von situationsbedingtem Humanismus, sondern von der langfristigen Politik der sowjetischen Führung – und der großen Menschenliebe und außergewöhnlichen Tatkraft des sowjetischen Offiziers Nikolai Bersarin. Beim Wiederaufbau der Stadt redete er nicht viel, sondern packte an – trotz des verbreiteten Klischees, dass „Menschen aus dem Osten“ nur Krieg führen könnten, nicht zum friedlichen Leben geeignet seien und den Feind bekämpften, indem dieser „mit Leichenberge überschüttet“ wurde.
Die humane Politik der sowjetischen Führung gegenüber dem Todfeind – das ist ein beinahe in Vergessenheit geratenes Kapitel der Geschichte. General Bersarin ist nur Wenigen bekannt, vor allem Historikern. Die Ereignisse von Mai und Juni 1945 sind weder in der Massenkultur noch im Gesellschaftsbewusstsein vertreten.
Wenn man jemanden fragt, was die Rote Armee in den zwei Monate in der Stadt, bis im Juli die Alliierten kamen, unternommen hat, kommt häufig die Antwort: Na ja, keine Ahnung, man feierte vielleicht; schaute auf die saubere europäische Stadt; aß Würstchen, trank Bier – nur selten erinnert man sich an die nichtmilitärische Heldentat von Nikolai Bersarin, der in kürzester Zeit der zerstörten Stadt zum friedlichen Leben verhalf und sehr viele Menschen rettete.
Die Präsenz der Sowjetunion in Nachkriegsdeutschland wird heute vorwiegend negativ dargestellt, besonders in ausländischen Medien. Von den positiven Seiten der gemeinsamen Geschichte wissen nur Wenige. Das Bildungsprojekt „Die letzte Heldentat von General Bersarin“, das in Moskau und Berlin umgesetzt wird, soll diese Lücke füllen.
Auf 14 Tafeln der Online-Ausstellung wird darüber berichtet, wie die Sowjetunion im Frühjahr 1945 Berlin nach dessen Kapitulation wiederaufbaute. In nächster Zeit sind Ausstellungen in Moskauer Schulen und Museen geplant. Ein Abschnitt handelt von der Politik der Nazis in den besetzten Gebieten während des Krieges, der gezielten Vernichtung friedlicher Sowjetbürger, KZ-Lagern für Kinder auf sowjetischem Territorium. Lernen Sie den Unterschied kennen.
In der Exposition werden kaum bekannte Dokumente und Fotos gezeigt, darunter aus dem privaten Archiv der Familie Bersarin, dem Staatsarchiv für Kino- und Fotodokumente, der Nachrichtenagentur TASS, dem Museum für Verteidigung Moskaus und anderen Quellen. Die Ausstellung wurde von der Regionalen Gesellschaftsorganisation „Ozon“ mit Unterstützung der Stiftung für Präsidenten-Stipendien und der Stiftung „Geschichte des Vaterlandes” organisiert.
Natalja Androssenko, Koordinatorin des Projekts „Letzte Heldentat von General Bersarin“, speziell für das Projekt „Nuremberg. Casus pacis“.