Minister Frick verbot Romane von Remarque und entließ Juden
Auf der Anklagebank sitzt Wilhelm Frick. Er ist ausgebildeter Jurist und ging bereits als Jugendlicher in den Polizeidienst – in Deutschland werden sie „Bullen“ genannt. Anfang der 1920er Jahre schloss er sich Adolf Hitler an, lobbyierte seinen Wechsel von der österreichischen zur deutschen Staatsbürgerschaft. Im Dritten Reich war er Innenminister, Autor diskriminierender Gesetze und Zerstörer des deutschen Rechtsstaats.
Bayerischer Polizist
Wilhelm Frick wurde am 12. März 1877 in Alsenz im Südwesten Deutschlands in der Familie eines Lehrers geboren. 1896 studierte er ein Semester Philologie an der Universität München, dann wuchs jedoch sein Interesse an Jura.
Seit Mitte 1900 war Frick als Rechtspraktikant in Kaiserslautern tätig. Drei Jahre nach dem Staatsexamen wurde er in den Staatsdienst aufgenommen. Von 1904 an arbeitete er für die Kreisregierung Oberbayerns als Regierungsakzessist und als Amtsanwalt bei der Polizeidirektion in München. 1914 leitete er als Amtsverweser das Bezirksamt Pirmasens.
Als untauglich ausgemustert, musste er nicht am Ersten Weltkrieg teilnehmen. Er wurde befördert und in die Polizeidirektion München versetzt, wo er sich mit der Ermittlung von Wirtschaftsverbrechen befasste. Anfangs leitete Frick dort die so genannte Kriegswucher-Abteilung, was seine antisemitische Einstellung beeinflusst haben soll, wie ein Brief an seine Schwester offenbart.
Wilhelm Frick war zweimal verheiratet, er hatte fünf Kinder.
1919 wurde ihm als Bezirksamtmann die Leitung der politischen Polizei übertragen. In dieser Funktion sympathisierte er mit dem Rechtsextremismus. Zu dieser Zeit lernte er Adolf Hitler kennen und äußerste Unterstützung für dessen vor kurzem gegründete Partei. 1923 erfolgte seine Beförderung zum Oberamtmann und Leiter des Sicherheitsdienstes der Kriminalpolizei München. Im November 1923 war er am Hitlerputsch beteiligt. Während der Massenunruhen blieb er am 8. und 9. November in der Polizeidirektion und sorgte unter anderem dafür, dass die Landespolizei und der Vertreter des Polizeipräsidenten nicht sofort alarmiert wurden.
Dieses Vorgehen blieb nicht ohne Folgen. Wegen „der Beihilfe zum Verbrechen des Hochverrats“ wurde er 1924 zu einer Haftstrafe von 15 Monate verurteilt, aber nach ungefähr fünf Monaten wurde er freigelassen. Seine Entlassung aus dem Staatsdienst wurde durch den Bayerischen Disziplinarhof mit der Begründung aufgehoben, er habe nicht in hochverräterischer Absicht gehandelt. Frick war anschließend von 1926 bis 1930 sowie von 1932 bis 1933 als Beamter im Oberversicherungsamt Münchens tätig. Hitler erwähnte ihn in seinem Buch „Mein Kampf“. Für seine Teilnahme am Putsch wurde ihm 1935 von Hitler das „Ehrenzeichen der Bewegung“ verliehen.
Thüringischer „Säuberer“
Nach der Freilassung zog er nach der Reichstagswahl am 4. Mai 1924 als Abgeordneter der Nationalsozialistischen Freiheitspartei für den Wahlkreis 24 (Oberbayern-Schwaben) in den Reichstag ein. Am 1. September 1925 wurde Frick Mitglied der NSDAP. Den Vorsitz der Reichstagsfraktion mit damals zwölf Abgeordneten übernahm er 1928. Seine Reichstagsreden waren geprägt von radikalem Antisemitismus und Rassismus sowie massiven Beschimpfungen und Beleidigungen der politischen Gegner.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Gerhart Seger, dessen Aussagen beim Nürnberger Prozess vorgelesen wurden, beschrieb sein Gespräch mit Frick im Dezember 1932: Auf eine konkrete Frage erwiderte Frick: Machen Sie sich keine Sorgen, wenn wir an die Macht kommen, werden wir euch alle in KZ-Lager schicken.
Am 23. Januar 1930 wurde Wilhelm Frick im Land Thüringen Staatsminister für Inneres und Volksbildung in einer Koalitionsregierung und somit der erste Minister der NSDAP zu Zeiten der Weimarer Republik. Frick forcierte mit Verordnungen die Entlassung von kommunistischen Lehrern und Bürgermeistern, den Personalabbau insbesondere bei den sozialdemokratischen Beamten sowie die bevorzugte Einstellung von Nationalsozialisten in die neugeschaffene Landespolizei. Am 19. März 1930 sperrte deshalb Reichsinnenminister Carl Severing die Reichszuschüsse für die thüringische Landespolizei, am 15. April erklärte die Landesregierung jedoch, künftig keine Nationalsozialisten in die Polizei aufzunehmen.
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Frick setzte gegen den Willen der Universität Jena die Berufung des Rassenforschers Hans F. K. Günther für den neugeschaffenen Lehrstuhl Sozialanthropologie durch. Er kämpfte auch gegen Kunstwerke. Am 8. Februar 1930 verfügte er, dass Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ in keiner Schule des Landes mehr gelesen werden durfte. Den im Dezember desselben Jahres erschienenen gleichnamigen Film ließ er in Thüringen verbieten. An den Kunstschulen verloren zahlreiche Lehrkräfte ihren Arbeitsplatz. Im Oktober 1930 wurde die Sammlung des Weimarer Stadtschlosses von den Modernen „gesäubert“. Frick sorgte dafür, dass Werke von Paul Klee, Oskar Kokoschka, Emil Nolde und Ernst Barlach aus den Sammlungen entfernt wurden.
Diese skandalöse Tätigkeit dauerte weniger als anderthalb Jahre. Nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag vom 1. April 1931 folgte sein Sturz und das Ausscheiden aus der Regierung. Allerdings war er weiterhin im Reichstag tätig und leitete dort den Auswärtigen Ausschuss.
1932 sorgte Frick dafür, dass der Österreicher Adolf Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt.
Berliner Zerberus
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Dieser holte Frick und Hermann Göring als einzige nationalsozialistische Minister in sein Kabinett. Frick wurde Reichsminister des Innern.
Zu diesem Zeitpunkt war Frick einer der einflussreichsten NS-Politiker und spielte eine große Rolle bei der Nazifizierung Deutschlands. Der US-amerikanische Jurist Robert Kempner nannte ihn „Brain-Zentrum der Administration, der den Staatsmechanismus des Nazismus entwickelte und die Tätigkeit dieses Mechanismus den Interessen des aggressiven Krieges unterordnete“.
„Er förderte die Machtübernahme durch Nazi-Verschwörer und die Festigung ihrer Macht über Deutschland (…)“, las der leitende US-Jurist Sidney Alderman die Anklagepunkte gegen Frick vor. „Er beteiligte sich an der Planung und Vorbereitung der Angriffskriege und Kriege, die die internationalen Verträge, Abkommen und Zusicherungen verletzen, er genehmigte, leitete und beteiligte sich an Kriegsverbrechen (…) und Verbrechen gegen die Humanität, einschließlich der Verbrechen gegen einzelne Personen und Eigentum in den besetzten Gebieten.“
Frick war für die Vorbereitung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des Deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 und die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar zuständig, die die bürgerlichen Rechte der Deutschen stark beschränkten – unter anderem die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Versammlungen. Um am 23. März via Reichstag das Gesetz über außerordentliche Vollmachten der Regierung durchzusetzen, schlug Frick vor, die Regeln zu ändern und jene Abgeordneten, die ohne gewichtigen Grund abwesend waren, dazu zu verpflichten, bei der Parlamentssitzung anwesend zu sein.
Am 31. März wurde das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich verabschiedet, dem zufolge die Ergebnisse der nationalen Wahlen (ohne Berücksichtigung der Stimmen für die Kommunisten) automatisch auf die Parlamente der Länder übertragen wurden. Am 7. April erschien das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, und die Länder verloren endgültig ihre Unabhängigkeit: Die regionale Macht übernahmen die von Hitler ernannten Reichsstatthalter. 1933 und 1934 segnete Frick insgesamt etwa 235 Gesetze und Dekrete ab.
„Am 31. Januar 1934 wurden die letzten Reste der Unabhängigkeit der Provinzen und Länder durch das Gesetz zur Reichsrekonstruktion vernichtet“, erzählte auf dem Nürnberger Prozess der Assistent des US-amerikanischen Anklägers, Frank Wallis. „Der Angeklagte Frick, der damals Innenminister war, schrieb über dieses Gesetz zur Reichsrekonstruktion folgendes: ‚Das Rekonstruktionsgesetz hat die souveränen Rechte und die exekutive Macht der regionalen Selbstverwaltungen vernichtet und das Reich zum einzigen Träger der souveränen Rechte gemacht. Die regionale Obermacht gibt es nicht mehr. Das einzige Ergebnis davon war die Unterordnung der regionalen Behörde der Reichsregierung und der regionalen Minister unter die entsprechenden Reichsminister. Am 30. Januar 1934 wurde das Deutsche Reich zum Einheitsstaat‘.“
Als Innenminister war Frick auch für die Unterstützung des Profisports zuständig, der als Instrument der nazistischen Propaganda und als Beweis für die Überlegenheit der „arischen Rasse“ genutzt wurde. Unter seiner Leitung bereiteten sich die Sportler auf die XI. Olympischen Spiele in Berlin vor.
Der Reichsminister gab sich viel Mühe, um die Rassenideologie im Dritten Reich zum Usus zu machen. Schon am 7. April 1933 war das Verbot für Juden und Kommunisten in Kraft getreten, im Staatsapparat zu arbeiten. Später verloren sie auch viele andere Rechte. Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN)“ verabschiedet, das die Zwangssterilisierung von ganzen Bürgerkategorien vorsah. Ein anderes aufsehenerregendes Gesetz, das die Euthanasie betraf, trat nie in Kraft, aber Behinderte wurden oft ohne jeglichen juristischen Grund getötet, und zwar im Rahmen der so genannten „Aktion T 4“ – und Frick wusste davon.
„Mehrmals pro Woche kommen Busse nach Hadamar, mit denen diese armen Menschen hierhergebracht werden. Die Schulkinder, die unweit leben, erkennen inzwischen diese Fahrzeuge und sagen: ‚Da fährt schon wieder dieser Gaswagen‘“, zitierte Kempner den Brief des Bischofs der Stadt Limburg vom 13. August 1941 an den Reichsjustizminister. „Nach dem Eintreffen dieser Fahrzeuge sehen die Einwohner Hadamars den Rauch aus dem Schornstein des Krematoriums, und sie werden vom permanenten Gedanken an die armen Opfer geplagt, und noch schlimmer ist, dass sie bei einer bestimmten Windrichtung den furchtbaren Geruch spüren. Deshalb sagen die Kinder, wenn sie miteinander streiten: ‚Du bist ja wahnsinnig, du wirst in die ‚Hamadar-Bäckerei‘ geschickt.‘ Und diejenigen, die nicht heiraten wollen oder keine Möglichkeit dafür haben, sagen: ‚Heiraten? Niemals! Kinder zeugen, damit sie in diesen Fleischwolf geworfen werden?!‘ Man kann ja hören, wie Greise sagen: ‚Schickt mich nicht ins Krankenhaus Nr. 368. Wenn man mit den Schwachköpfen fertig ist, sind die anderen nutzlose Esser dran – die Greise (…)‘“
„Hochzeitsgeneral“ aus Böhmen
Trotz seiner enormen Aktivitäten verlor Frick immer wieder seine Vollmachten. Schon im März 1933 wurde ein Teil der Befugnisse des Innenministeriums dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit Joseph Goebbels an der Spitze überlassen. Im Mai 1934 wurde Fricks Zuständigkeitsbereich erneut beschränkt – zu Gunsten des neuen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Gleichzeitig wurde Frick zum preußischen Innenminister ernannt (dabei war er dem amtierenden preußischen Regierungschef Hermann Göring untergeordnet). 1935 wurde das Reichsministerium für die Kirchlichen Angelegenheiten gegründet, und 1936 ernannte Hitler den SS-Reichsführer Heinrich Himmler zum Staatssekretär des Innenministeriums und zum Chef der deutschen Polizei. Gleichzeitig wurde statt der Polizeikräfte einzelner Länder die gesamtdeutsche Polizei gebildet – und Frick verlor die entscheidende Macht im Innenministerium.
1942 wurde er 65 Jahre alt und bekam von Hitler 250.000 Reichsmark geschenkt. Und am 20. August 1943 entließ der Führer seinen Innenminister, der ebenfalls von Himmler abgelöst wurde. Der genaue Grund dieser Entscheidung blieb unbekannt. Beim Nürnberger Prozess behauptete Frick, schon 1937 keinen direkten Draht zu Hitler gehabt zu haben. Jedenfalls besprach Hitler seit 1940 keine wichtigen Fragen mit Frick und ignorierte öfter dessen Bitten um Treffen. Laut Goebbels‘ Tagebüchern soll der Führer 1942 gesagt haben, Frick wäre kein wahrer Nazi mehr und nicht mehr in der Lage, mit der Zeit Schritt zu halten.
Fricks Absturz lässt sich teilweise auch durch die Reform des Staatsapparats erklären, die er vorantrieb. Er schlug nämlich vor, die Vollmachten zwischen verschiedenen Ministerien und Behörden deutlicher zu verteilen und überflüssige Behörden und Ämter abzuschaffen. Die immer größer werdende Nomenklatur des Dritten Reiches war davon nicht gerade begeistert. Aber vor allem widersprach diese Initiative dem Regierungsstil Hitlers, der die amorphe Machtstruktur mit der Konkurrenz zwischen verschiedenen Behörden und unklaren Pflichten der Beamten aufrechterhalten wollte.
Nach seiner Entlassung wurde Frick nach Prag geschickt, wo er zum Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt wurde. Das war eine Art Ehrenexil: De facto gehörte die Macht in dieser Region bereits dem Staatsminister im Protektorat, Karl Hermann Frank. Frick wollte dieses Angebot sogar ablehnen, ordnete sich am Ende aber doch dem Willen des Führers unter.
„Frick trägt die Mitverantwortung für den schweren Schaden, den Vertreter der Führungskräfte dem Begriff ‚Rechtsstaat‘ zugefügt haben, denn er wollte vielen Akten der deutschen Gesetzgebung, die alle Rechte der Menschlichkeit verletzte und das Ziel verfolgte, die jüdische Bevölkerung Deutschlands und die Einwohner der von Deutschland besetzten Gebiete zu vernichten, zu erniedrigen und zu entehren, den Schein der Legitimität verleihen“, resümierte beim Nürnberger Prozess der US-amerikanische Ankläger Robert Storey.
Quellen:
- Gerhard Schulz: Frick, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB)
- Steffen Raßloff: Der „Mustergau“. Thüringen zur Zeit des Nationalsozialismus
- Joachim Bergmann: Die innenpolitische Entwicklung Thüringens in der Zeit von 1918 bis 1932
- Günter Neliba: Wilhelm Frick: Der Legalist des Unrechtsstaates. Eine politische Biographie
- Hans-Günter Richardi: Hitler und seine Hintermänner: Neue Fakten zur Frühgeschichte der NSDAP
- Erich Stockhorst: 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich
- Das Stenogramm des Nürnberger Prozesses, Band I bis III, übersetzt aus dem Englischen und zusammengestellt von Sergej Miroschnitschenko