Robert Ley – zwischen Aspirin und Halsschlinge

Der Führer der deutschen Proletarier, Robert Ley, starb 356 Tage vor dem Urteil – am 25. Oktober hängte er sich in seiner Zelle im Nürnberger Justizpalast auf, aus Wäsche hatte er sich eine Schlinge gemacht. Ley war ein 100-prozentiger Kandidat für die Todesstrafe. Der Anführer der Deutschen Arbeitsfront genoss das volle Vertrauen Adolf Hitlers und enttäuschte ihn nie. Dem treuen Anhänger der NSDAP und des Dritten Reiches war es gelungen, die starken deutschen Gewerkschaften zu zerschlagen und die Arbeitsressourcen für den totalen Krieg zu mobilisieren. Außerdem war er Alkoholiker, Frauenschwarm – und absoluter Zyniker.

Der Reichs-Trinker hatte ein schlechtes Gewissen

Kurz vor seinem Selbstmord schrieb Ley seiner Frau Margarete aus dem Nürnberger Gefängnis: „Mir ist hier eine Peinlichkeit unterlaufen – ich habe mir selbst zum ersten Mal im Leben leidgetan. Aber peinlich war sogar nicht das, sondern dass dieses Leid plötzlich hunderttausendfach größer wurde. Das war wie ein Schlag, und ich bin ganz plump in Ohnmacht gefallen. (…) Hunderttausend-, millionenfach (…). Verstehst du, woher diese ‚Mathematik‘ kommt? Zu den Mördern kommen immer ihre Opfer. Ich habe niemanden getötet. Aber ich wusste davon. Und das war genug.“

Es bestehen keine Zweifel, dass er dabei ganz aufrichtig war. Mit dieser Frau war er immer ehrlich. Im Alter von etwa 40 Jahren hatte Ley jede Menge Liebesgeschichten hinter sich. Aber einmal traf er die 20-jährige Margarete, die Schwester von Rudolf Heß, einem anderen künftigen Angeklagten in Nürnberg. Er verliebte sich und heiratete sie, die heimliche Kommunistin (das stellte sich später heraus), die das Reich und dessen Führer hasste.

Die Ehe wurde 1930 geschlossen. Die Aktivitäten ihres Mannes als Nazi schockierten die junge Margarete, und acht Jahre später verließ sie Ley. Den endgültigen Beschluss fasste sie nach der Kristallnacht auf den 10. November 1938, als etliche deutsche Städte von Judenpogromen erfasst wurden. Im Kinderzimmer der Leys schlief ein Gast – der kleine Sohn des Verwalters im Hause Heß. Alle Kinder außer dem kleinen Heinrich Ley schliefen. Er hörte die Wächter vor seiner Tür sprechen. Sie sprachen darüber, dass sich in der Stadt so interessante Dinge ereigneten, während sie die Nacht in diesem verdammten Korridor verbringen mussten. Dabei könnte man doch den „kleinen Juden“, den die Hausherren beherbergt hatten, schön fertig machen. Als der Junge so etwas von seinem Freund hörte, war er erschüttert und musste später noch lange behandelt werden. Danach nahm Margarete die Kinder und verließ ihren Mann.

Mitte der 1930er Jahre war Ley ein hoffnungsloser Alkoholiker. Einmal hätte er den Duke of Windsor, den abgedankten britischen König Eduard VIII., und dessen Gattin Wallis Simpson beinahe umgebracht. Er hatte nämlich ihren aufsehenerregenden Deutschland-Besuch und die Bekanntschaft mit Hitler arrangiert. Ley war angetrunken, kutschierte die Gäste aber zu einer Festveranstaltung. Dabei rammte er einen Zaun (laut einer anderen Version einen Baum). Niemand wurde verletzt, aber es wäre deswegen beinahe ein internationaler Skandal ausgebrochen. Ley galt als Führer der deutschen Arbeiterklasse, seine Porträts hingen in Zechen und bei manchen Arbeitern sogar im Wohnzimmer. Allerdings hatte er dabei solche fraglichen Spitznamen wie „Reichstrinker“ und „Der ewig Blaue“.

Von seiner Frau verlassen, suchte Ley nach Trost und heiratete eine Sängerin namens Inga. Die rassige Blondine erfreute seine Nazi-Augen. Sie brachte eine Tochter zur Welt, die sie Lore Ley nannte – in Anlehnung an die Loreley aus Heinrich Heines Gedicht. Ley hielt jedoch wenig von dieser Romantik seiner jungen Frau. 1942 schrieb die ebenfalls alkoholsüchtige und endlos enttäuschte Inge an Hitler, er sollte ihrem Gatten seine geliebte Margarete zurückgeben – und beging Selbstmord.

Als Robert Ley seinen letzten Brief an Margarete schrieb, lebte sie schon längst in den USA und gab sich viel Mühe, die Schrecken und die Schande der Vergangenheit zu vergessen. Später sagte sie, sie hätte ihren Mann und ihren Bruder geliebt, aber gleichzeitig Deutschland gehasst.

Über ihm stand nur Hitler

Robert Ley wurde 1890 geboren. In seiner Jugend gab es einige Paradoxe. So ist bekannt, dass sein Vater ein großes Grundstück besaß, sein Besitztum aber angezündet hatte, um an die Versicherung zu bekommen. Daraus wurde geschlossen, dass Ley aus einer armen Bauernfamilie stammte. Dabei studierte er an drei Universitäten und war mit den größten Gutsbesitzern im Rheinland bekannt. Es wäre kaum nachvollziehbar, wie das siebte von insgesamt elf Kindern eines pleitegegangenen Bauern dies geschafft hätte. Später gab ihm diese Dualität die Möglichkeit, sowohl in den oberen Gesellschaftskreisen als auch unter armen Menschen Kontakte zu haben. 

1914 zog Ley als Freiwilliger in den Krieg, wo er Artillerist und Fliegerbeobachter war. Einmal wurde sein Flugzeug abgeschossen, und er geriet in französische Gefangenschaft. Er erlitt eine schwere Gehirnverletzung und stotterte seit dieser Zeit beim Sprechen. Möglicherweise ließ sich auch seine Alkoholsucht auf diese Verletzung zurückführen. Dennoch gelang es ihm, sein Studium abzuschließen und Chemiker zu werden. Unter anderem arbeitete er bei der Bayer AG, die als erster Aspirin-Produzent bekannt ist.

Aber wegen der politischen Turbulenzen schlug der junge Chemiker einen ganz anderen Weg ein. Als die französischen und belgischen Truppen 1923 das Ruhrgebiet besetzten, und zwar unter dem Vorwand, die Regierung der Weimarer Republik hätte die Reparationszahlung verzögert, meldete sich Robert Ley bei den Nazis, denen er dann bis zu seinem letzten Lebenstag treu blieb. 1924 trat er der NSDAP bei, näherte sich Hitler an und unterstützte ihn bei allen innerparteilichen Streitigkeiten. 1925 entstand auf einer NSDAP-Konferenz quasi eine Anti-Hitler-Koalition. Goebbels verlangte beispielsweise, „den kleinen Bourgeois Adolf Hitler“ aus der Partei auszuschließen. Dem stotternden Ley gelang es dennoch, Goebbels niederzubrüllen. Hitler behielt die Parteimitgliedschaft und schenkte „dem größten Idealisten“ Ley, wie er ihn nannte, sein ewiges Vertrauen.

Seine weitere Karriere machte Ley ausschließlich in der NSDAP. Er leitete eine Parteizeitung, wurde in den Reichstag gewählt, war Gauleiter und Reichsinspektor. Die Sternstunde Robert Leys schlug 1933, als ihn Hitler zum Reichsleiter, dem zweiten Mann in der Nazi-Hierarchie, ernannte. Im Dritten Reich gab es insgesamt 22 Reichsleiter. Von den 22 Angeklagten hatten neben Ley auch Heß, Rosenberg, Frank, Schirach, Frick und Bormann diesen Posten bekleidet. Über ihnen hatte nur Hitler selbst gestanden.

Die „Nacht der langen Messer“ für die Gewerkschaften

In Deutschland lebten in den 1920er und 1930er Jahren 67 Millionen Menschen, und 8,5 bis zwölf Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung machte das Proletariat aus. Zum Vergleich: In Russland waren es kurz vor der Oktoberrevolution nur 1,5 Prozent. Die meisten deutschen Proletarier waren Mitglieder der Gewerkschaften. Formell waren die in der Weimarer Republik unabhängig, hatten aber ein Koordinierungszentrum, nämlich den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), den moderne Historiker als eine „Dachstruktur“ bezeichnen. Ideologisch neigten die deutschen Gewerkschaften zu den Sozialdemokraten.

Das waren Millionen von jungen, gesunden, aber schlecht ausgebildeten Männern, die im Grunde nichts zu verlieren hatten, und die Nazis konnten diese Riesenmenge unmöglich ignorieren. 1933 organisierte Ley auf Hitlers Verfügung einen großen Streik gegen die freien Gewerkschaften, an dem fünf Millionen Menschen teilnahmen. Sie bildeten kurz darauf die Basis für die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die der NSDAP untergeordnet war.

Wegen des Drucks oder auch der entsprechenden Absprachen mit Gewerkschaftsführern verwandelten sich etliche Arbeiter über Nacht von Sozialdemokraten in Nationalsozialisten. Irgendwann kam der Tag, an dem sie über ihren Betrieben rote Nazifahnen sahen – und die Farbe entsprach durchaus ihren politischen Vorzügen. Und bezüglich des Hakenkreuzes in der Mitte drückten die meisten von ihnen ein Auge zu.

Die DAF hatte ab jetzt ihre Vertreter in der Führung jedes Industriebetriebs. Die den alten Gewerkschaften gehörenden Immobilien wurden konfisziert, Aktivisten, die die DAF nicht anerkannten, wurden verhaftet oder getötet. Viele von ihnen wurden ins KZ Dachau geworfen. An die Spitze der von ihm höchstpersönlich geschaffenen „Pyramide“ wurde Robert Ley gestellt.

Faschistischer Sozialismus

In der Geschichte des deutschen Proletariats begann damit ein Kapitel, das Neonazis immer noch loben. Die roten Fahnen und das Wort „Arbeit“ im NSDAP-Parteinamen reichten nicht aus, um mit der Treue der Proletarier zu rechnen. Und Robert Ley begann mit dem Aufbau des Sozialismus, denn er war nun einmal „der große Idealist“, wie ihn Hitler nannte. Aber sein Sozialismus hatte ein faschistisches Gesicht.

Die DAF eröffnete eine Abteilung unter dem Namen „Kraft durch Freude“. Arbeiter mussten ab sofort regelmäßig Museen und Theater besuchen; für diejenigen, die aus der Provinz kamen, wurden Reisen in Großstädte und dort Stadtrundfahrten organisiert. Die besten Arbeiter bekamen kostenlose bzw. preisgünstige Ferienplätze. Die DAF richtete mehrere Ausbildungszentren für Arbeiter ein, wo sie nicht nur unterrichtet, sondern auch ideologisch „bearbeitet“ wurden. Dank den Mitgliedsbeiträgen konnte die DAF Passagierschiffe und sogar eigene Ferienanlagen bauen.

Mit Idealismus hatte das alles jedoch nichts zu tun. Ley soll einmal gesagt haben:

„Wir beginnen mit dreijährigen Kindern. Sobald das Kind denken lernt, geben wir ihm ein Fähnchen; dann kommen die Schule, die Hitler-Jugend, der Sturmbann, der Wehrdienst (…). Man wird von uns bearbeitet, ohne das selbst zu verstehen, und wenn er all diese Stufen hinter sich hat, schnappt ihn sich die Arbeitsfront – und lässt ihn bis zum Grabstein nicht los, egal ob er das will oder nicht.“ 

Der DAF-Führer verstand natürlich, dass er allein durch soziale Leistungen die Herzen der Deutschen nicht erobern würde – und beschäftigte sich mit Betriebsfragen. 1938 begann der Bau des ersten Volkswagen-Werkes. Bezahlt wurde das aus dem Verkauf der 1933 von den Gewerkschaften beschlagnahmten Aktiva. Das erste VW-Modell wurde vom Porsche-Betrieb entwickelt.

Hitler versprach den Deutschen, dass jeder Arbeiter ein Auto für 990 Reichsmark kaufen könnte. Der Arbeiterlohn belief sich im Durchschnitt auf 100 Reichsmark. Bei den damaligen Preisen musste jedoch das ganze Geld für die notwendigsten Waren ausgegeben werden. Aber Leys Arbeitsfront bot den Menschen gemeinsam mit der Reichsbank eine Stundung an, so dass sie jeden Monat nur fünf Mark zahlen mussten.

Die ersten VW-Autos wurden noch nicht einmal gebaut, aber es war schon klar, dass allein die Selbstkosten den angekündigten Preis um das Zweifache übertreffen würden. Bald nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges stellte sich der Betrieb auf die Produktion von Militärfahrzeugen um, und in den nächsten Jahren wurden 65.000 solche Automobile gebaut. Als der Krieg vorbei war, stellte sich heraus, dass etwa 340.000 Deutsche regelmäßig fünf Mark pro Monat bezahlt hatten. In den 1960er Jahren zogen sie gegen VW vor Gericht, und am Ende konnten die Seiten einen Kompromiss finden. Und dann stellte sich heraus, dass die meisten Anleger keine Proletarier, sondern Vertreter der Mittelschicht waren – mit wesentlich größeren Einkommen.

Hitler wusste Leys Aktivitäten im industriellen Bereich hoch zu schätzen. 1942, als etliche Zwangsarbeiter aus ganz Europa nach Deutschland gebracht wurden, bot er ihm den Posten des Kommissars für Arbeitskräfte an. Ley bat um etwas Zeit – er wollte sich das Angebot überlegen. Er hatte nämlich Zweifel daran, dass Zwangsarbeiter effizient arbeiten würden – in diesem Moment wachte in dem „Idealisten“ ein Technokrat auf.

Mit Heinrich Himmlers Erlaubnis ging er für ein paar Tage in ein KZ, und dort kam er zu zwei Schlüssen: Erstens war die Disziplin in den Konzentrationslagern schlecht. „Wenn man russische Schweine schlagen muss, dann sollte das ein üblicher deutscher Arbeiter tun“, erklärte der Führer des deutschen Proletariats in einer Beratung. Und zweitens war die Effizienz der Sklavenarbeit mangelhaft. Ley lehnte Hitlers Angebot ab, und zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz wurde Fritz Sauckel ernannt – ein weiterer Angeklagter der Nürnberger Prozesse.

Allerdings waren die Interessen der Arbeiterklasse Robert Ley egal. So schrieb er beispielsweise in einem Brief über diese Mission: „Ich beschäftige mich mit einer langweiligen Arbeit: Ich rede diesen Dummköpfen ein, sie wären das Salz der Erde, die Herrscherrasse, die künftigen Herren der Welt. Sie sind genauso dumm wie die anderen auch. (…) Unser Arbeiter, solange er arbeitet, lässt sich leicht etwas einreden und ist leicht zu beeinflussen, als wäre er ein pickeliger Knabe. Er wird die Militäruniform anziehen, ohne das zu merken, und er wird glauben, er wäre einfach auf einen anderen Platz am Fließband der gesamtnationalen Arbeit gestellt worden.“ 

Ist er tot? Auch besser so!

Augenzeugen der damaligen Ereignisse sprachen von einem Verfall Robert Leys in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges. Er war permanent betrunken, erzählte Hitler immer wieder von irgendwelchen „Wunderstrahlen“ (möglicherweise hatte er einfach das Buch „Das Geheimnis der infraroten Strahlen“ von Alexej Tolstoi gelesen), schrieb einen Dienstzettel darüber, wie man in Konzentrationslagern einen Krieg zwischen Juden auslösen könnte. Auch ließ er sich das Projekt der „Ritterschlösser“ einfallen – von Schulen, wo die nazistische Elite ausgebildet werden sollte.

Dennoch blieb Ley neben Bormann und Goebbels dem Führer absolut treu. Zum letzten Mal sahen sie sich am 20. April, an Hitlers Geburtstag, in dessen Berliner Bunker. Von dort aus begab sich Ley in die bayerischen Alpen, die noch nicht von den Amerikanern besetzt worden waren. Seine Aufgabe war es, die Reste der Streitkräfte zu sammeln und auf den Führer zu warten. Dann sollte die letzte Schlacht gegen die Feinde beginnen. Hitler kam aber nicht und beging zehn Tage später Selbstmord. Und am 8. bzw. 9. Mai kapitulierte Deutschland.

Robert Ley versteckte sich im Haus eines Schusters in einem Bergdorf. Am 16. Mai tauchten dort aber US-amerikanische Fallschirmjäger auf. Ley stellte sich unter falschem Namen vor, doch die Amerikaner nahmen ihn mit zur Überprüfung – in seinem Pyjama mit einem Mantel darüber. Kurze Zeit später wurde Ley von einem alten Feind in den NSDAP-Reihen identifiziert, und der verriet ihn an die Amerikaner.

Als Robert Ley ins Gefängnis des Justizpalastes von Nürnberg kam, zeigte er sich empört über die Voreingenommenheit des Tribunals. „Er war sehr erregt und lief in der Zelle (…) hin und her“, schrieb der Militärpsychologe Gustave Gilbert, der in Nürnberg arbeitete. „Wie kann ich eine Verteidigung vorbereiten? Soll ich mich gegen diese Verbrechen, von denen ich nichts wusste, verteidigen? Wenn nach all dem Blutvergießen dieses Krieges noch ein paar mehr Opfer gebraucht werden, um die Rache der Sieger zu befriedigen, alles schön und gut.“ Hier stellte er sich wie ein Gekreuzigter an die Wand und deklamierte mit dramatischen Gebärden: „Stellt uns an die Wand und erschießt uns! Alles schön und gut. Ihr seid die Sieger. Aber warum soll ich vor einen Gerichtshof geschleppt werden wie ein V..., V..., wie ein V..., V...?“ Er stotterte und blieb am Wort „Verbrecher“ vollkommen hängen, bis ich es ergänzte, und fügte dann hinzu: „Ja, ich kann das Wort nicht einmal aussprechen.“

Am 25. Oktober erhängte sich Ley mit einem selbstgefertigten Seil. Im Abschiedsbrief gab er nur eine Sünde zu, den Antisemitismus: „Wir verließen Gott, weshalb wir von Gott verlassen wurden. Wir stellten den menschlichen Willen an die Stelle seiner Gnade. Mit Antisemitismus haben wir sein wichtigstes Gebot verletzt. Antisemitismus verzerrte unsere Weltanschauung, wir begangen große Fehler. Es ist schwer, Fehler zuzugeben, doch selbst die Existenz unseres Volkes ist infrage gestellt; wir, die Nazis, müssen mutig sein, um sich vom Antisemitismus zu befreien. Wir müssen der Jugend erklären, dass es ein Fehler war.“

Da man befürchtete, dass der Selbstmord viele Nachahmer finden könnte, verstärkte die Gefängnisverwaltung die Sicherheitsmaßnahmen. Anderen Häftlingen wurde über den Vorfall vier Tage später berichtet. „Ich saß gerade in Görings Zelle, als diese Notiz am 29. Oktober hereingebracht wurde“, schrieb Gustave Gilbert. „Er las die Bekanntmachung ohne jedes Anzeichen von Bewegung. Nachdem der Offizier die Zelle verlassen hatte, wandte er sich zu mir: Es ist gut, dass er tot ist, denn ich hatte meine Zweifel, wie er sich im Prozess benehmen würde. Er war immer so zerfahren, hielt immer solch merkwürdige und bombastische Reden. Ich bin sicher, er hätte sich bei den Verhandlungen lächerlich gemacht. Nun, ich bin nicht überrascht, dass er tot ist, denn er trank sich sowieso zu Tode (...).“

Der einzige, der den Tod Robert Leys zu betrauern schien, war der vulgäre Fanatiker Julius Streicher. Der Arbeiterführer, der die deutschen Arbeiter gezwungen hatte, Streichers Zeitschrift „Der Stürmer“ im Abonnement zu beziehen, war der einzige gewesen, der bereit gewesen war, sich mit Streicher zusammenzutun. Trotzdem fand der Judenhasser es von Ley feige, Selbstmord zu begehen.

Literaturverzeichnis

  • Jelena Sjanowa, „Eine Zehn aus Hitlers Karten“
  • Ulrich Schulz, „Neue Deutsche Biografie“, Band 14
  • Richard Evans, “The Third Reich in Power, 1933-1939”
  • Gustave Gilbert, „Nürnberger Tagebuch“