Nicht streiten, nicht trinken, nicht bemitleiden

Am 14. Februar 1946 präsentierte der Assistent des sowjetischen Anklägers, Lew Smirnow, dem Tribunal Beweise für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung der Sowjetunion.

Unter den Dokumenten, die er zitierte, gab es geheime Empfehlungen vom 1. Juni 1941, die der Beauftragte für Lebensmittel und Landwirtschaft, Staatssekretär Herbert Backe, signiert hatte und die den Umgang mit den Menschen auf dem zu besetzenden Territorium der Sowjetunion betrafen.

„Vertraulich.

Zwölf Gebote im Umgang der Deutschen im Osten und mit Russen

1. Für Sie, Mitarbeiter, die in den Osten gehen, ist am Wichtigsten, dass die Arbeit der entscheidende Punkt ist. Deshalb verlange ich von Ihnen beharrliche und unermüdliche Arbeit.

(…)

6. Da die neuen angeschlossenen Territorien für lange Zeit Deutschland und Europa gehören sollen, hängt vieles davon ab, wie Sie sich dort etablieren werden. Es muss Ihnen klar sein, dass Sie für ganze Jahrhunderte Vertreter von Großdeutschland und Fahnenträger der nationalsozialistischen Revolution und des neuen Europas sind. Sie sollen ehrenvoll selbst die härtesten und kompromisslosesten Veranstaltungen durchführen, die von Ihnen der Staat verlangen wird. Charakterlosigkeit einzelner Personen ist zweifellos ein Grund für ihre Amtsenthebung.

(…)

8. Reden Sie nicht – handeln Sie. Es wird Ihnen nie gelingen, einen Russen zu überreden bzw. mit Worten zu überzeugen. Er kann besser reden als Sie, weil er ein geborener Dialektiker ist und die „Neigung zum Philosophieren“ geerbt hat. Weniger Worte und Debatten. Das Wichtigste ist, zu handeln. Dem Russen imponiert nur das Handeln, denn er ist nach seiner Natur weiblich und sentimental. „Unser Land ist groß und reich, aber es gibt hier keine Ordnung – kommen Sie und besitzen Sie uns.“ Diese Aussage gab es schon am Anfang der Gestaltung des russischen Staates, als die Russen die Normannen einluden, damit diese zu ihnen kommen und sie verwalten. Diese Einstellung zieht sich wie roter Faden durch alle Perioden der Geschichte des russischen Staates: die Herrschaft der Mongolen, die Herrschaft der Polen und Litauer, die Selbstherrschaft der Zaren und die Herrschaft der Deutschen – bis zu den Lenin- und Stalin-Zeiten. Die Russen wollen immer eine große Masse sein, die verwaltet wird. So werden sie auch die Erscheinung der Deutschen wahrnehmen, denn diese Erscheinung entspricht ihrem Wunsch. (…)

Vor allem dürfen Sie nicht weich und sentimental sein. Wenn Sie mit dem Russen weinen, wird er glücklich sein, denn dann kann er Sie verachten. Da die Russen nach ihrer Natur weiblich sind, wollen sie auch in der Männlichkeit Auswüchse finden, um die Möglichkeit zu haben, das Männliche zu verachten. Deshalb müssen Sie immer mannhaft sein – und Ihre nordische Standfestigkeit bewahren. (…)

Bewahren Sie Distanz zu den Russen – sie sind keine Deutschen, sondern Slawen. Es darf keine feuchten Angelegenheiten mit den Russen geben. Sie dürfen keine Kontakte mit Frauen in den von Ihnen kontrollierten Betrieben haben. Wenn Sie auf ihre Ebene absteigen, verlieren Sie Ihre Autorität in den Augen der Russen. Indem der Russe von seinen jahrhundertelangen Erfahrungen ausgeht, betrachtet er den Deutschen als ein höheres Wesen. Bemühen Sie sich darum, diese Autorität des Deutschen aufrechtzuerhalten. Heben Sie sie mit Ihren ruhigen und sachlichen Befehlen immer höher, mit Ihren harten Entscheidungen, mit dem Auslachen der Debattierenden und Ignoranten. (…)

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9. Stecken Sie sich nicht mit dem kommunistischen Geist an. Die russische Jugend wurde in den vergangenen 20 Jahren im Geiste des Kommunismus erzogen. Sie kennt keine andere Erziehung. Deshalb wäre es sinnlos, die jungen Menschen für ihre Vergangenheit zu bestrafen. Wir wollen die Russen nicht auf den Weg des Nationalsozialismus stellen, wir wollen sie zur Waffe in unseren Händen machen. Sie müssen die Jugend überzeugen, indem Sie ihr ihre Aufgaben zeigen, indem Sie sich um sie energisch kümmern und sie gnadenlos bestrafen, falls sie diese Aufgaben nicht erfüllen oder sabotieren sollte. (…)

Russland war immer ein Land von Bestechungen und Denunziationen. Diese Gefahr kann auch zu Ihnen durchdringen, besonders durch Emigranten, Dolmetscher usw. Die Russen, die leitende Positionen besetzen sowie Leiter von Betrieben, Vorarbeiter und Aufseher sind, neigen immer zur Bestechung und zur Erpressung ihrer Untergeordneten. Unterbinden Sie Bestechung, bleiben Sie selbst immer unbestechlich und korrekt.

(…)

11. Der russische Mensch leidet jahrhundertelang unter Armut, Hunger und Not. Sein Magen ist dehnbar, und deshalb haben sie kein unnötiges Mitleid mit ihm – versuchen Sie nicht, die Lebensweise der Russen zu verändern, indem Sie sie dem deutschen Lebensstandard anpassen.“

Quellen:

  • Empfehlungen des Beauftragten für Lebensmittel und Landwirtschaft, Staatssekretär Herbert Backe, zum Benehmen von Beamten auf dem zu besetzenden Territorium der Sowjetunion. 1. Juni 1941. Staatsarchiv der Russischen Föderation. F. R-7021. Op. 148. D. 12. L. 59-63
  • Sergej Miroschnitschenko. „Stenogramm des Nürnberger Prozesses“, Band VI