Frauen in KZ-Lagern

Mit Beginn des Jahres 1945 befreiten die Alliierten die Konzentrationslager der Nazis. Der Höhepunkt entfiel auf April, als Soldaten der Anti-Hitler-Koalition die KZ-Lager Dachau, Buchenwald, Ravensbrück, Bergen-Belsen befreiten. Darüber, was in den Lagern hinter Stacheldraht geschah, erfuhr die ganze Welt während der Nürnberger Prozesse. Am ausführlichsten berichtete die Französin Marie-Claude Vaillant-Couturier als ehemalige Lagerinsassin in Auschwitz und Ravensbrück darüber. Jene, die diese Todeshöllen überlebten, haben dies der Roten Armee zu verdanken. Am 27. Januar befreiten die Rotarmisten Auschwitz, vom 30. April bis 3. Mai 1945 das KZ Ravensbrück.

Marie-Claude Vaillant-Couturier wurde 1912 in Paris geboren. Sie arbeitete zunächst als Fotojournalistin. Nach dem Krieg wurde sie Generalsekretärin der Internationalen Demokratischen Frauenföderation, Mitglied der Nationalversammlung, Ritter der Ehrenlegion.

Am 9. Februar 1942 war sie von der Polizei der Vichy-Regierung verhaftet und der Gestapo übergeben worden. Ein Jahr saß sie in Gefängnissen in Frankreich, im Januar 1943 wurde sie mit einer Gruppe französischer Frauen nach Auschwitz verlegt. Von dort aus ging es im Mai 1944 nach Ravensbrück.

In dem Artikel gibt es Auszüge aus der Befragung der Zeugin vom 28. Januar 1946.

Auschwitz

Das größte Nazi-Todeslager lag 60 Kilometer westlich von Krakau. Die ersten Gefangenen wurden im Mai 1940 ins Lager gebracht. Die Gesamtzahl der Häftlinge und Opfer von Auschwitz wurde nicht festgestellt. Nach Schätzung der Historiker wurden im Laufe der Existenz des Lagers dort 1,1 bis 1,6 Mio. Menschen getötet.

„Von dort kommt man nie zurück“

„Da ich mich weigerte, diese Erklärung zu unterschreiben, bedrohte mich der verhörende Offizier, und als ich ihm sagte, dass ich mich vor dem Tode und dem Erschießen nicht fürchte, antwortete er: Wir haben viel schlimmere Mittel zur Verfügung als das Erschießen … Und der Dolmetscher erklärte mir: Sie wissen nicht, was Sie jetzt getan haben. Man wird Sie in ein deutsches Konzentrationslager schicken, und von dort kommt man nie zurück. (…) Als wir bei verschiedenen Aufenthalten des Zuges lothringische Soldaten, die in der deutschen Wehrmacht dienten und unsere Wächter waren, fragten, wann wir ankommen würden, antworteten sie uns: Wenn ihr wüsstet, wohin ihr kommt, würdet ihr euch nicht drängen, anzukommen.“

Der erste Tag 

„Birkenau ist eine Nebenabteilung des Konzentrationslagers Auschwitz. Es liegt auf einer weiten Ebene, die im Januar gefroren war. Während der ganzen Strecke haben wir unser Gepäck mitgeschleppt. Als wir den Vorhof passierten, fühlten wir, dass die Aussichten, wieder herauszukommen, sehr gering waren, denn wir waren bereits skelettartigen Kolonnen auf ihrem Weg zur Arbeit begegnet. Bei unserem Eintritt sangen wir die Marseillaise, um uns Mut zu machen. (…) Gegen Abend spielte ein Orchester. Da es schneite, fragten wir uns, was der Grund dieser Musik sei. In diesem Augenblick kehrten die Arbeitskommandos der Männer in das Lager zurück. Hinter jedem Kommando gingen Leute, die Leichen trugen.“

„Sie wurden nicht einmal gezählt“ 

„Man hatte das ganze Verfahren verbessert: Anstatt die Auswahl bei der Ankunftsstelle vorzunehmen, brachte ein Abstellgeleise den Zug fast bis zur Gaskammer. (…) Dann sahen wir, wie die Plomben von den Wagen entfernt und wie Frauen, Männer und Kinder von Soldaten aus den Wagen herausgeholt wurden. (…) Alle diese Leute wussten nichts von dem Schicksal, das ihrer harrte. (…) Um den Empfang angenehmer zu machen, spielte damals, das heißt im Juni und Juli 1944, ein aus Häftlingen gebildetes Orchester, alle hübsch und jung, Mädchen in weißen Blusen und dunkelblauen Röcken, während der bei der Ankunft der Züge getroffenen Auswahl lustige Weisen, wie ‘Die lustige Witwe‘, die Barcarolle aus ‚Hoffmanns Erzählungen‘ und so weiter. (…) Diejenigen, die für die Gaskammern ausgesucht worden waren, das heißt die alten Leute, Kinder und Mütter, wurden in ein rotes Ziegelgebäude geführt. (…)

Später, zur Zeit der großen Transporte aus Ungarn, blieb keine Zeit mehr für Tarnungsmaßnahmen übrig.

- M. Dubost (Vertreter der französischen Anklage – Anm. d. Red.): Diese wurden also nicht registriert?

- Vaillant-Couturier: Nein.

- M. Dubost: Sie wurden nicht tätowiert?

- Vaillant-Couturier: Nein, sie wurden nicht einmal gezählt.

„Es spielte keine Rolle, wer vernichtet werden sollte – Kinder, Greise oder Soldaten, auf Alter und Zustand der Opfer wurde nicht geachtet, es ging nicht um Begriffe, Kategorien, sondern um Merkmale und Eigenschaften. Ein jüdisches bzw. zigeunerisches Kind war vor allem nur Jude bzw. Zigeuner und nicht ein Kind, es wurden einfach Juden, Zigeuner, Russen, Polen und nicht Greise und Frauen, Menschen vernichtet, es wurden die dunklen Flecken von der tadellosen Gestalt des ewigen, ursprünglichen Reichs gelöscht.“
Boris Jakemenko „Die Welt der KZ-Lager …“

„Wir warten auf eure Ankunft“

„Als wir Romainville verließen, hatten wir die Jüdinnen zurückgelassen, die mit uns dort waren. Sie wurden nach Drancy verschickt, und schließlich kamen sie nach Auschwitz, wo wir sie drei Wochen später wiedersahen. Von 1200 bei der Abfahrt sind nur 125 im Lager angelangt. Die anderen sind sogleich in die Gaskammern gebracht worden, und von diesen 125 war nach einem Monat keine einzige mehr übrig. (…)

Die ‚kleine Marie‘ (…) war die einzige Überlebende einer neunköpfigen Familie. Ihre Mutter und ihre sieben Schwestern und Brüder waren schon bei der Ankunft vergast worden. Als ich sie kennenlernte, war sie mit der Arbeit beauftragt, die kleinen Kinder zu entkleiden, bevor sie in die Gaskammer kamen.

Ich erinnere mich daran, wie die Jüdinnen aus Saloniki bei ihrer Ankunft Postkarten bekamen, auf denen als Absendeort Waldsee angegeben war. Waldsee, ein Ort, der nicht existierte. Auf der Karte war ein gedruckter Text für die Angehörigen, der lautete: ‘Es geht uns hier sehr gut, wir haben zu arbeiten und werden gut, behandelt, wir warten auf Eure Ankunft.‘ Ich habe diese Karten selbst gesehen. (...)

Folgende Geschichte kenne ich nur hinsichtlich Griechenlands. Ich weiß nicht, ob sie auch anderswo passierte, aber auf jeden Fall haben sich in Griechenland und auch in der Slowakei bei den Werbestellen in Saloniki Familien gemeldet, die ihren Angehörigen nach Deutschland nachkommen wollten. Ich erinnere mich an einen Professor für Literatur aus Saloniki, der mit Entsetzen seinen Vater ankommen sah. (…)

Auf der anderen Seite war das sogenannte Familienlager. Das waren Juden aus dem Ghetto Theresienstadt, die man dorthin gebracht hatte, und im Gegensatz zu uns waren sie weder tätowiert noch rasiert. Sie behielten ihre Kleider und haben nicht gearbeitet. Sie haben sechs Monate so gelebt, und am Ende dieser sechs Monate hat man dieses Familienlager vergast.“

Alltag 

„Um 3.30 Uhr morgens weckte uns das Geschrei der Aufseherinnen. Mit Knüppelschlägen wurden wir von den Pritschen gejagt und zum Appell getrieben. Nichts in der Welt konnte uns von diesem Appell dispensieren. Selbst die Sterbenden mussten hingeschleppt werden. Dort standen wir in Reihen zu fünf, bis der Tag anbrach, das heißt bis 7 oder 8 Uhr morgens im Winter, und wenn es nebelig war, manchmal bis mittags; nachher machten sich die Kommandos auf ihren Weg zur Arbeit. (…)

In Auschwitz war das Ziel offensichtlich Vernichtung, um die Leistungsfähigkeit hat man sich nicht gekümmert. Die Häftlinge wurden ohne jeden Grund geschlagen. Man musste nur den ganzen Tag aufbleiben, und es spielte dabei keine Rolle, ob man einen oder zehn Backsteine trug. Es war ganz klar, dass das versklavte Menschenmaterial benutzt wurde, um liquidiert zu werden. Das war das Ziel. (…)

Die deutschen weiblichen Wächter (…) hatten Knüppel und verteilten damit aufs Geratewohl ihre Schläge. Wir hatten eine Kameradin, Germaine Renaud, Lehrerin in Azay-le-Rideau in Frankreich, die vor meinen Augen durch einen Knüppelschlag während des Appells einen Schädelbruch erlitt. (...)

Während der ganzen Arbeitszeit wachten die männlichen und weiblichen SS-Aufseher über uns und versetzten uns Knüppelschläge oder ließen ihre Hunde auf uns los. Vielen Kameradinnen wurden die Beine von den Hunden zerrissen. Einmal habe ich sogar gesehen, wie eine Frau von einem Hund zerfleischt und getötet wurde, als der SS-Mann Tauber seinen Hund auf sie hetzte und bei dem Schauspiel grinste (…)

Anfangs waren es nur SS-Leute. Ab Frühjahr 1944 wurden die jungen SS-Leute in vielen Kompanien durch ältere Wehrmachtsangehörige ersetzt. In Auschwitz sowohl wie in Ravensbrück wurden wir von 1944 an von Wehrmachtsangehörigen bewacht. (…)

„Vom Aufstehen bis zur Schlafenszeit widerspiegelte die ganze Struktur des Lebens der Häftlinge ein symbolisches System eines totalitären und totalen Staates und wies den Häftling an die Stelle in den niedrigsten Reihen des Systems und sogar unter seinem Niveau. Dabei war die Totalität umso absoluter, je mehr Menschen in die Lager gelangten und je härter der Umgang mit ihnen war.“

Boris Jakemenko „Die Welt der KZ-Lager …“

Block 25

„Dieser Block 25 war das Vorzimmer zur Gaskammer, wenn man so sagen darf. Ich kenne ihn sehr gut, denn wir sind zu dieser Zeit in den Block 26 verlegt worden und unsere Fenster öffneten sich in den Hof des Blocks 25. Man sah Mengen von Leichen im Hofe aufgehäuft, und von Zeit zu Zeit bewegte sich unter diesen Leichen eine Hand oder ein Kopf, die versuchten, sich freizumachen. Es war eine Sterbende, die sich loszulösen versuchte, um weiter zu leben.

Die Sterblichkeit in diesem Block war noch schrecklicher als sonst, denn, da es sich um zum Tode verurteilte Frauen handelte, gab man ihnen nur das zu essen oder zu trinken, was zufällig in der Küche übrig blieb, das heißt, dass sie praktisch tagelang keinen Tropfen Wasser bekamen.

Eines Tages hatte eine unserer Kameradinnen, Annette Epaux, eine schöne junge Frau von 30 Jahren, die an diesem Block vorbeiging, mit diesen Frauen Mitleid, die von früh bis abends in allen Sprachen schrien; Zu trinken, zu trinken, zu trinken, Wasser! Sie ist in unseren Block zurückgekommen, um ein wenig Kräutertee zu holen. Aber im Augenblick, wo sie den Tee durch das vergitterte Fenster reichte, wurde sie von der Aufseherin bemerkt, beim Kragen gepackt und selbst in den Block 25 geworfen.

Zwei Tage später, auf dem Wagen, der zur Gaskammer führte, hielt sie eine andere Französin an sich gepresst, es war die alte Line Porcher, und als der Wagen losfuhr, rief sie uns zu: Denkt an meinen kleinen Buben, wenn ihr nach Frankreich kommt. Dann begannen sie alle, die Marseillaise zu singen.“

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Sadistische Ärzte

„Experimente habe ich im Revier gesehen, denn ich war dort beschäftigt. Ich sah, wie die jungen Jüdinnen aus Saloniki vor dem Bestrahlungsraum Schlange standen, wo sie sterilisiert werden sollten. Ich weiß auch, dass man in der Männerabteilung Entmannungen vorgenommen hat.

Ich wusste von medizinischen Experimenten an Frauen, denn meine Freundin, Dr. Ade Oval aus Montbéliard, die nach Frankreich zurückgekehrt war, hatte mehrere Monate lang in diesem Block gearbeitet und kranke Menschen behandelt, obwohl sie sich immer weigerte, an den Experimenten teilzunehmen. Frauen wurden dort sterilisiert, indem man ihnen Spritzen gab und sie auch bestrahlte. Ich habe viele Frauen gesehen und gekannt, die sterilisiert worden waren. Unter solchen Frauen war die Sterblichkeit hoch. (…)

Man machte auch kein Hehl aus den Zielen, die man bei der Sterilisierung verfolgte. Man sagte offen, dass man nach den besten Sterilisierungsmethoden suchte, um die Bevölkerung der okkupierten Länder durch Deutsche zu ersetzen, nachdem man eine Generation der Ureinwohner als Sklaven ausgebeutet hat. (…)

Im Frühjahr 1944 wurde ein Block für Zwillinge eingerichtet. Ungefähr in dieser Zeit wurde eine riesige Partie (etwa 700 000) von ungarischen Juden ins KZ-Lager eingeliefert. Dr. Mengele, der die Experimente leitete, wählte aus allen Partien Zwillinge aus. Dabei wollte er beide Zwillinge bekommen, egal wie alt sie waren. Deshalb wurden in dem Block sowohl erwachsene Menschen als auch Kinder und Teenager gehalten. Ich weiß nicht, was man mit ihnen machte außer der Blutentnahme.“

Frauen und Kinder

„Wenn jüdische Frauen, die ins KZ gerieten, am Anfang der Schwangerschaft waren, wurden sie zur Abtreibung geschickt. Wer aber schon hochschwanger war, durfte das Kind zur Welt bringen, das jedoch sofort in einem mit Wasser gefüllten Eimer ertränkt wurde. (…) Diese Operationen wurden einer deutschen Hebamme anvertraut, die für illegale Abtreibungen verurteilt worden war. Einige Zeit später kam ein neuer Arzt, und in den nächsten zwei Monaten wurden neugeborene jüdische Kinder nicht mehr getötet. Aber irgendwann kam aus Berlin ein Befehl, dem zufolge sie wieder umgebracht werden sollten. Dann wurden die Mütter mit ihren Kindern ins Lazarett berufen und dann mit Lastwagen zur Gaskammer gebracht. (…)

Wenn nichtjüdische Frauen Kinder zur Welt brachten, wurden diese den Müttern üblicherweise nicht weggenommen. Aber wegen der furchtbaren Bedingungen im Lager lebten die Kinder höchstens vier bis fünf Wochen.

Im Lager gab es einen Block, wo polnische und russische Mütter gehalten wurden. Einmal wurden die Russinnen beschuldig, zu viel Lärm zu machen. Sie wurden zum Namensaufruf berufen und gezwungen, den ganzen Tag mit den Kindern in den Armen vor dem Block zu stehen – völlig nackt.“

Gruben und Öfen

„In Auschwitz gab es acht Öfen. Aber seit 1944 war das zu wenig. Die SS-Soldaten zwangen die Insassen, riesige Gruben auszugraben, wo Zwischendecken eingerichtet wurden. Sie wurden mit Benzin begossen und angebrannt. Die Leichen wurden in diese Gruben geworfen. Wir sahen aus unserem Block, wie die Schornsteine des Krematoriums etwa drei Viertelstunden oder eine Stunde nach dem Eintreffen der neuen Partie der Häftlinge große Flammensträhnen ausstießen, und mit diesem Feuer wurde der ganze Himmel beleuchtet.

Einmal in der Nacht wurden wir durch furchtbare Schreie geweckt. Am nächsten Morgen erfuhren wir von den Menschen, die bei der Gaskammer arbeiteten, dass zu wenig Gas dagewesen war, so dass noch lebendige Kinder einfach in die Öfen geworfen worden waren.“ 

***

„Als wir Auschwitz verließen, konnten wir uns selbst nicht glauben. Unsere Herzen zerrissen, als wir dachten, dass von uns allen, insgesamt 230 Personen, die vor 18 Monaten hierher gebracht worden waren, nur noch eine kleine Gruppe von 49 Personen geblieben war. Wir hatten das Gefühl, die Hölle zu verlassen, und zum ersten Mal kam bei uns die Hoffnung auf, dass wir überleben und wieder die Welt sehen würden.“

Ravensbrück

Das KZ wurde im Mai 1939 100 Kilometer nördlich von Berlin eröffnet. Dort wurden überwiegend Frauen gehalten. Von 132 000 Insassinnen sind mehr als 50 000 gestorben.

Sklaverei

„In Ravensbrück gab es einen Siemens-Betrieb, wo Telefonanlagen und Funkgeräte für Flugzeuge produziert wurden. Außerdem gab es auf dem KZ-Gelände Werkstätten, wo Tarnuniform und viele andere Utensilien für Soldaten hergestellt wurden. (…)

In Ravensbrück spielte die Frage der Arbeitsproduktivität eine große Rolle. Das war ein Verteilungslager. Wenn größere Partien von Häftlingen ins KZ gebracht wurden, wurden sie entweder zu Munitions- oder Pulverfabriken verschickt oder sollten Flugplätze bauen oder (in letzter Zeit) Gruben ausheben.

(…)

Industrielle oder Meister, oder auch ihre Bevollmächtigten kamen in Begleitung der SS-Leute ins Lager, um die passenden Arbeitskräfte auszuwählen. Es sah wie ein Sklavenmarkt aus: Sie überprüften die Muskeln der Häftlinge, ihre Gesichtsausdrücke usw., um sich dann zu entscheiden. Dann wurden die ausgewählten Häftlinge vom Arzt untersucht, und dieser stellte fest, ob diese im Betrieb arbeiten könnten oder nicht. In letzter Zeit war die ärztliche Untersuchung jedoch eine reine Formalität – zur Arbeit wurden alle Häftlinge herangezogen.

Diese Arbeit war unerträglich, denn es mangelte an Lebensmitteln sowie an der Schlafzeit – die Häftlinge mussten zwölf Stunden am Tag arbeiten, und morgens und abends mussten sie noch zum Namensaufruf. (…)

Die Arbeit war dermaßen intensiv, dass man nicht einmal auf die Toilette gehen durfte. Tags und nachts wurden die Häftlinge von SS-Leuten gnadenlos zusammengeschlagen: wenn eine Nadel wegen der schlechten Qualität der Stoffe kaputt gegangen war, wenn die Nähmaschine stoppte, wenn ihnen ihr Gesichtsausdruck nicht gefiel usw.

Am Ende der Arbeitsschicht wurde offensichtlich, dass die Arbeiter völlig erschöpft waren, so dass ihnen jede Bewegung schwerfiel. (…) Wenn die Tagesnorm nicht erfüllt wurde, griff der Brigadier Binder Frauen an und verprügelte sie – eine nach der anderen, so dass die letzte Frau in dieser Reihe vor Angst gelähmt war.“

Die „Versuchskaninchen“

„In unserem Block wurden auch polnische Frauen gehalten; manche von ihnen wurden als ‚Kaninchen‘ bezeichnet, weil sie als Versuchspersonen eingesetzt wurden. Aus den Partien polnischer Frauen wurden gesunde junge Frauen mit langen Beinen ausgesucht – und medizinischen Operationen unterzogen: einigen wurden Teile von Beinknochen entfernt, manchen anderen wurden Spritzen gegeben – ich weiß nicht, zu welchem Zweck. Unter diesen Frauen war die Sterblichkeit sehr hoch.

Wer sich weigerte, ins Lazarett zu gehen, wo man operiert wurde, diejenigen wurden zwangsläufig in den Bunker gebracht, wo sie von einem Berliner Professor operiert wurden. Dieser hatte dabei seine Militäruniform an, hatte keine Desinfizierungsmittel, zog keinen Arztkittel an und wusch die Hände nicht. Manche von den ‚Kaninchen‘ überlebten das alles, aber sie müssen darunter immer noch leiden.“

„Die unerhörte Gewalt ließ sich großenteils darauf zurückführen, dass dies die permanent spürbare Folge des enormen Drucks auf die Gesellschaft seitens des Staates war – der Staat zeigte sich der Gesellschaft durch die Gewalt. Durch diesen Druck sollte sich (…) eine prinzipiell neue Kategorie der Menschen herauskristallisieren (so verwandelt sich Graphit durch enormen Druck in den Diamanten), die die Unumkehrbarkeit der Zeit sichern würde. Es war kein Zufall, dass der Aufbau eines ‚neuen Menschen‘, die Suche nach neuen physischen Fähigkeiten des Menschen, die in der Welt der KZ-Lager in schreckliche Experimente an den Menschen ausarteten, die ganze Ideologie des Dritten Reiches durchdringen.“

Boris Jakemenko, „Die Welt der KZ-Lager“

„Sie verfaulten lebendig“

„In den Blöcken gab es völlig keinen Platz, und die Häftlinge mussten zu viert auf einem Bett schlafen. Deshalb wurde im Zentrum des Lagers ein riesiges Schutzdach aufgezogen, und darunter lag Stroh. Ungarische Frauen wurden gleich unter dieses Schutzdach gebracht. Ihr Zustand war schrecklich. Viele von ihnen hatten frostbeschädigte Füße, weil sie einen langen Weg barfuß gehen mussten. Viele von ihnen waren noch unterwegs gestorben. Jeden Tag kam eine Abteilung, um Leichen wegzutragen.

Einmal kehrte ich in meinen Block zurück, der neben diesem Schutzdach stand, und sah einen Haufen von rauchenden Fäkalien. Ich verstand plötzlich, dass dies Exkremente der Frauen waren, die keine Kraft mehr gehabt hatten, um die Toiletten zu erreichen. Sie verfaulten lebendig in diesem Mist. (…)

Das war im Winter 1944, ungefähr im November oder Dezember. Ich kann aber nicht genau sagen, was für ein Monat das war. Es ist schwer, von einer genauen Zeit zu sprechen, wenn man im KZ-Lager ist, denn die Foltertage kamen einer nach dem anderen, und sie waren so monoton, dass man nicht mehr den genauen Tag bestimmen kann.“

Befreiung

„Als die Deutschen das Lager verließen, waren dort 2000 Kranke und eine kleinere Zahl von Freiwilligen geblieben (auch ich), die die Kranken pflegten. Wir sind ohne Wasser und Strom geblieben. Zum Glück kamen die Russen schon am nächsten Tag.

Wir konnten ins Männerlager gehen und haben dort schreckliche Dinge gesehen: Dort hatten die Häftlinge fünf Tage kein Wasser. Im Lager blieben 800 schwerkranke Menschen, drei Ärzte und sieben Krankenschwestern, die gar keine Zeit hatten, alle Leichen hinauszubringen.

Dank der Roten Armee konnten wir diese Kranken in saubere Blöcke befördern, die wir dort behandelten und ernährten. Leider kann ich nur die Zahl der Franzosen nennen. Als wir im Männerlager eintrafen, waren dort 400 Franzosen, von denen jedoch nur 150 heimkehren konnten.“

***

„Es ist schwer, jemandem eine klare Vorstellung von einem KZ-Lager zu verleihen, solange man ein solches Lager selbst nicht besucht hat. Man kann Beispiele des unmenschlichen Umgangs anführen, aber man kann einem nicht die Fähigkeit verleihen, diese tödliche Routine zu spüren.

Wenn jemand fragt, was besonders schrecklich war, ist es unmöglich, diese Frage zu beantworten. Es war alles schrecklich. Es war schrecklich, zu verhungern, zu verdursten, krank zu sein, zu sehen, wie deine Kameraden sterben, und dabei keine Möglichkeit zu haben, etwas für sie zu tun. Es ist schrecklich, an deine eigenen Kinder, an dein Land zu denken, die du nie wieder sehen wirst. Manchmal kamen solche Momente, wenn wir zweifelten, ob das ein Albtraum war, denn solches Leben war so schrecklich, dass es unrealistisch zu sein schien. Monate- und jahrelang hatten wir nur einen Wunsch: Jemand von uns sollte am Leben bleiben, um der ganzen Welt zu erzählen, was die Zwangsarbeit für die Nazis in Wirklichkeit war.

Es war überall so, ob in Auschwitz oder in Ravensbrück. Die Menschen, die in anderen KZ-Lagern gewesen waren, erzählten dasselbe: Überall kam der gnadenlose Wille dazu zutage, Menschen als Sklaven auszubeuten und zu töten, wenn sie nicht mehr imstande waren, zu arbeiten.“

Quellen:

  • Stenogramm des Nürnberger Prozesses. Band VIII/Übersetzung aus dem Englischen und Zusammensetzung – Sergej Miroschnitschenko
  • „Boris Jakemenko. „Die Welt der KZ-Lager. Die wichtigsten Merkmale der Phänomenologie des nicht Erkannten“. Anzeiger der Russischen Universität der Völkerfreundschaft. Serie: Allgemeine Geschichte. 2020. T. 12. Nr. 1