Heute berichten wir über die drei letzten „kleinen“ Nürnberger Prozesse, deren Protagonisten die Leiter des Krupp-Konzerns, Nazi-Größen und hochrangige Wehrmachtgeneräle waren. Sie erhielten lange Haftstrafen, wurden aber nach recht kurzer Zeit begnadigt – Mitte der 1950er-Jahre wurden viele Verurteilten freigelassen, deren Eingliederung in die Nachkriegsgesellschaft nahezu problemlos verlief.
Justiz im Schnellformat
Wie die Prozesse gegen Krupp-Bosse, Nazi-Größen und Wehrmachtgeneräle verliefen
Alfried Krupp (Angeklagter in einem kleinen Nürnberger Prozess – „The United States of America vs. Alfried Krupp“)
Am 8. Dezember 1947 wurde der zehnte „kleine“ Nürnberger Prozess eröffnet. Vor Gericht stand Alfried Krupp – der deutsche Industrielle, Vertreter des Familienkonzerns, der in den 1930er- und in den Kriegsjahren Waffen an die Wehrmacht lieferte. Selbst nach niedrigst angesetzten Schätzungen arbeiteten in den Krupp-Unternehmen in der Kriegszeit rund 100.000 Menschen, darunter 23.076 Kriegsgefangene und 4978 KZ-Gefangene.
Erschreckende Berichte über die Arbeitsbedingungen waren bereits vor dem Internationalen Militärgerichtshof zu hören, auf dessen Anklagebank der Vater Alfried Krupps, Gustav Krupp, hätte sitzen sollen. Doch wegen eines Hirnschlags und anschließender Demenz konnte er nicht vor Gericht erscheinen. Auch Alfried hat es geschafft, den „großen“ Nürnberger Prozess zu vermeiden. Nun wurde er jedoch auf dem kleinen Nürnberger Prozess vor Gericht gestellt.
Walter Gumpert – Mechaniker in der Krupp-Fabrik – tritt beim Prozess als Zeuge der Kläger auf („The United States of America vs. Alfried Krupp“)
Gegen Krupp und elf ehemalige Direktoren des Konzerns wurde Anklage in vier Punkten erhoben: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen durch Plünderung und Beraubung der besetzten Länder, Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Verschleppung, Ausbeutung und Missbrauch zur Sklavenarbeit (Zwangsarbeit) und der rechtswidrige Einsatz von Kriegsgefangenen zur Rüstungsproduktion, Verschwörung. Der erste und der letzte Punkt wurden dann wegen fehlender Beweise ausgeschlossen.
Alfried Krupp und andere Angeklagten auf dem kleinen Nürnberger Prozess „The United States of America vs. Alfried Krupp“ (auf der Anklagebank von links nach rechts: Alfried Krupp, Ewald Löser, Eduard Houdremont, Erich Müller, Friedrich Janssen, Karl Pfirsch, Karl Eberhardt und Heinrich Korschan)
Am 31. Juli 1948 wurden zehn Angeklagte zur Haftstrafe zwischen drei und zwölf Jahren verurteilt. Im Unterschied zu den Fällen Flick und IG Farben erkannte das Gericht nicht an, dass die Angeklagten dem Befehl folgten. Es war sehr zweifelhaft, dass die Leitung des Konzerns die Zwangsarbeit nicht nutzen wollte. Der Vorteile der Sklavenarbeit überwogen eindeutig den Schaden, der durch einen Verzicht darauf entstanden wäre.
Dennoch wurde ein Angeklagter freigesprochen. Alfried Krupp wurde zu zwölf Jahren Haft mit Beschlagnahmung des Vermögens verurteilt, doch drei Jahre später wurde er begnadigt. Das Vermögen wurde ihm zurückgegeben. Er hat seine Schuld nicht eingestanden.
Der Krupp-Konzern existierte bis 1999. Anschließend fusionierte er mit der Thyssen AG.
Auftakt des kleinen Nürnberger Prozesses – des Wilhelmstraßen-Prozesses („The United States of America vs. Ernst von Weizsäcker et al.“)
Der Wilhelmstraßen-Prozess war der größte der Nürnberger Nachfolgeprozesse. Wegen Finanzierungsmängel wurden vier Prozesse auf einmal vor Gericht behandelt – gegen die Angehörigen des Auswärtigen Amtes, anderer Ministerien, Reichskanzlei und Reichspräsidentenkanzlei, Vertreter der deutschen Wirtschaftselite und Funktionäre des Reichssicherheitshauptamtes. Die Anhörungen liefen vom 6. bis 18. November 1948.
Die meisten Einrichtungen, in denen die Angeklagten arbeiteten, befanden sich in der Wilhelmstraße in Berlin – danach wurde der Prozess inoffiziell benannt. In der englischsprachigen Literatur wird er häufig als „Ministries Trial“ bezeichnet.
Ernst von Weizsäcker (Angeklagter im Wilhelmstraßen-Prozess, „The United States of America vs. Ernst von Weizsäcker et al.“)
21 Personen wurden in acht Anklagepunkten angeklagt. Die Punkte über Verschwörung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von 1933 bis 1939 wurden vom Gericht zurückgewiesen.
Unter den Angeklagten waren solche angesehene Figuren wie der Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, der Leiter der Präsidialkanzlei Otto Meissner und Walter Schellenberg vom Reichssicherheitshauptamt. Wie auch bei vorherigen Prozessen versuchten die Anwälte der Angeklagten zu beweisen, dass sie von den Verbrechen nichts wussten. Allerdings wussten beispielsweise Diplomaten ganz sicher von den Aktivitäten der Einsatzgruppen und hatten nichts gegen Festnahmen und Deportation der Juden, was die Anklage auch nachweisen konnte.
Justin Steinhauser – deutscher Unternehmer – trat als Zeuge aufseiten der Anklage beim Wilhelmstraßen-Prozess auf
Das Urteil zum Wilhelmstraßen-Prozess wurde am 11. April 1949 gesprochen. Zwei Angeklagte wurden freigesprochen, die anderen bekamen Haftstrafen von fast vier bis 25 Jahren. Doch Ende 1951 wurden nahezu alle von ihnen auf freien Fuß gesetzt.
Wilhelm von Leeb – Hauptangeklagter im Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht (The United States against Wilhelm Leeb and others)
Der letzte der kleinen Nürnberger Prozesse war der Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht (OKW-Prozess). Es wurden vierzehn hochgestellte Generäle der Wehrmacht, die im Osten und Westen ihre Truppen befehligten, vor Gericht gestellt. Einige von ihnen waren Mitglieder des Oberkommandos. Da in der Wehrmacht 18 Millionen Deutsche ihren Dienst leisteten, wurde der Prozess auch wie ein Prozess gegen sie wahrgenommen.
Walter Warlimont – General der Artillerie, Angeklagter im Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht (The United States against Wilhelm Leeb and others)
Es wurde Anklage in vier Anklagepunkten erhoben: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verschwörung. Beim vierten Anklagepunkt konstatierte das Gericht, dass die Angeklagten die Verbrechen gemeinsam begingen, beschloss jedoch, dass sie jeder einzeln dafür zur Verantwortung gezogen werden muss. Beim ersten Anklagepunkt wurden alle Angeklagten freigesprochen, weil sie nicht zur politischen Führung Nazi-Deutschlands gehörten und nicht den Beschluss trafen, einen Krieg zu entfachen.
Die Kläger legten 1778 Dokumente vor: Protokolle von Konferenzen, Befehlen und Anweisungen, Berichte, Soldaten-Tagebücher und Korrespondenzen. Vor Gericht wurden 32 Zeugen gerufen. Die Staatsanwälte betonten mehrmals, dass nicht das Verhalten der Soldaten, sondern die Anweisungen, die einige Monate vor Kriegsbeginn herausgegeben worden waren, untersucht wurden. Fakten wie „Befehl über Kommissare“, Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangenen, erbarmungsloser Kampf gegen Partisanen und Ermordungen von sowjetischen Juden wurden bereits beim großen Nürnberger Prozess behandelt und als Kriegsverbrechen eingestuft.
Anklagebank im Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht (The United States against Wilhelm Leeb and others)
Zwei Generäle wurden freigesprochen, ein General beging während des Prozesses Selbstmord. Die anderen wurden zu Haftstrafen von drei Jahren bis lebenslang verurteilt. Die Zeit der Untersuchungshaft wurde angerechnet. 1954 wurden alle Angeklagten freigelassen.
Selbst nach den Haftstrafen zeigten viele Generäle kein Schuldbewusstsein. In Deutschland festigte sich für lange Zeit der Mythos einer „sauberen Wehrmacht“, erst Mitte der 1990er-Jahre wurde mit diesem Mythos endlich aufgeräumt.