Wer wie versuchte, die Angeklagten vor ihrer Strafe zu bewahren

In Nürnberg waren 32 Anwälte tätig, zusammen mit ihren Assistenten und Sekretären waren es 153 Personen. Die Verteidiger luden dreimal mehr Zeugen als die Ankläger vor Gericht ein – 102. Die Zahlen zeigen, dass das Verhalten der Organisatoren der Nürnberger Prozesse zu den Angeklagten ziemlich loyal war. Die Reden der Anwälte waren zweimal länger wie die der Ankläger. Doch wer wagte es, die größten Kriegsverbrecher und verbrecherische Organisationen des Dritten Reichs zu verteidigen? Unter den Anwälten in schwarzen Roben gab es sehr verschiedene Figuren – von Beinahe-Antifaschisten bis hin zu treuesten Anhängern des Dritten Reiches.

Der Schutz der Verteidiger

„Es war nicht einfach, Verteidiger für die Angeklagten zu finden“, schrieb der US-Gerichtsdolmetscher Richard W. Sonnenfeldt im Buch „Witness to Nuremberg“. „Anwälte, die bekannte Nazis waren, waren ausgeschlossen, andere hervorragende deutsche Juristen waren vom Hitler-Regime links liegen gelassen worden. Allerdings konnte man selbst im chaotischen Nachkriegsdeutschland zwei Dutzend Verteidiger finden. Das Tribunal half, einige Personen zu finden, die eigentlich nicht besonders diese Verantwortung übernehmen wollten. Die Verteidiger variierten stark nach ihren Qualitäten von erfahrenen Anwälten bis hin zu echten Dummköpfen“, so Sonnenfeldt.

Unter den Assistenten der Anwälte gab es sogar Verwandte der Angeklagten wie der Sohn von Franz von Papen und Schwager von Joachim von Ribbentrop.

„Es wurde beharrlich nach Anwälten gesucht, die zur Teilnahme an dem Prozess bewegt wurden“, erzählt der Direktor der Stiftung „Digitale Geschichte“, Jegor Jakowlew, in der Videolesung „Die Anwälte von Nürnberg. Wer die Nazis verteidigte“. „Das Tribunal zahlte ihnen gutes Geld für ihren Job. Zu Beginn des Prozesses bekamen alle Anwälte eine Vorauszahlung in Höhe von 4000 Mark. Im Februar 1946 bekamen sie jeweils weitere 5000 Mark. Im Juli gab es eine weitere Zahlung – 7000 Mark. Das war ziemlich viel Geld für das durch den Krieg pleite gegangene Europa. Einige hielten es sogar für möglich, Sonderbedingungen zu stellen. So verließ Dr. Rudolf Dix, der Anwalt von Hjalmar Schacht, demonstrativ Nürnberg, als ihm die einmalige Auszahlung des Honorars von 10.000 Mark verweigert wurde. Allerdings fanden sich später Personen, die dieses Honorar zahlten, und er kehrte zurück.“

Laut Jakowlew fürchteten die Nürnberger Anwälte die Verfolgung durch Antifaschisten, und forderten Sicherheitsgarantien. Jeder Anwalt bekam ein internationales Schutzdokument, das den Schutz seiner persönlichen Rechte garantierte.

Illegales Gericht, die Angeklagten seien nicht schuld

Die meisten Angeklagten hatten einen schrecklichen Ruf, viele trugen persönliche Verantwortung für den Tod von Millionen Menschen und für die Verwandlung Deutschlands in einen monströsen Staat. Welche Argumente konnten die Anwälte zur Rechtfertigung ihrer Mandanten bzw. zur Milderung der Strafe anführen?

„Natürlich hatten sie eine unmögliche Aufgabe“, sagte Jegor Jakowlew. „Die Taten ihrer Mandanten lösten keine Zweifel aus, und ständige Hinweise auf die Illegitimität des Prozesses wurden abgelehnt.“

Der Versuch, die Legitimität des Prozesses anzufechten, war die allgemeine Taktik für alle Anwälte. Zum Beginn der Gerichtsverhandlungen legten sie ein gemeinsames Memorandum vor, in dem die Vollmachten des Tribunals in Frage gestellt wurden. So behaupteten die Verteidiger, dass die aktuellen Gerichtsverfahren bezüglich der Verbrechen gegen den Frieden keine rechtliche Grundlage im Völkerrecht hätten, weil dies ein Prozess sei, der auf dem neuen Strafrecht basiere.

Die meisten Anwälte versuchten, die Schuld ihrer Mandanten auf Hitler, Himmler, Heydrich, Bormann und andere, nicht anwesende Vertreter der Führungsriege des Dritten Reiches abzuwälzen.

„Die Anwälte brachten die These ein, dass die rechtliche Grundlage des Naziregimes das Führerprinzip gewesen sei, laut dem die ganze Macht in Deutschland allein Adolf Hitler gehörte“, so Jakowlew. „Demnach schlussfolgerte die Verteidigung, dass die Verantwortung für alle Verbrechen allein ihm anzulasten sei. Professor Hermann Jahrreiß, Assistent des Anwalts von Alfred Jodl, betonte, dass die Beschlüsse und Befehle Hitlers für seine Unterstellten ebenso verpflichtend wie die Beschlüsse der Regierungen für die Staatsbürger der demokratischen Staaten waren. In seiner Rede vor Gericht sagte er, dass Hitlers Befehl jedwede Überlegungen ausschloss. Jeder, der als leitendes Mitglied der Hierarchie sich auf den Befehl des Führers berief, versucht nicht, Argumente vorzulegen, die ihn vor einer gerichtlichen Verfolgung wegen rechtswidriger Handlungen befreien, er bestreitet nur die Behauptung, dass sein Verhalten illegitim ist, weil der Befehl, dem er folgte, unantastbar im rechtlichen Sinne war.“

Kaltenbrunners Anwalt Kurt Kauffmann sagte sogar, dass das Hitler-Phänomen im metaphysischen Bereich, in Magie, der kein einziger Mensch widerstehen konnte, stecke.

Zudem bemühten sich die Anwälte zu beweisen, dass die Alliierten sich nach ihrer Grausamkeit nicht von Faschisten unterschieden. „Jetzt scheint es merkwürdig und blasphemisch, doch man sollte nicht vergessen, dass die Einzelheiten und der Umfang der Nazi-Gräueltaten der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Zudem wollte die internationale Öffentlichkeit lange einfach nicht glauben, dass solche Gräueltaten prinzipiell möglich waren. Es gibt Menschen, die auch heute daran zweifeln – trotz der kolossalen Beweislast“, sagte Jakowlew.

Wenn die Fakten es hergaben, versuchten die Verteidige, ihre Mandanten als Gegner Hitlers darzustellen, die dem Nazismus anheim fielen. Mit dieser Taktik konnte Rudolf Dix, Anwalt des ehemaligen Präsidenten der Reichsbank Hjalmar Schacht, einigermaßen punkten. Wegen eines Konflikts mit Hitler wurde Schacht aus seinem Amt entlassen, von den Sicherheitsorganen unter Leitung von Ernst Kaltenbrunner festgenommen und wegen Staatsverrat angeklagt. 1944 verteidigte Dix ihn vor einem deutschen Gericht.

„Da sich Schacht nun auf einer Anklagebank mit seinem ehemaligen Verfolger Kaltenbrunner erwies, griff der Anwalt zu einem emotionalen und sicheren Mittel – er begann, den ehemaligen Chef des Reichssicherheitshauptamtes offen zu attackieren“, so Jakowlew.

Von Liebe zu Hass

Einige Anwälte demonstrierten grenzenlose Loyalität zu ihren Mandanten - so zum Beispiel Rudolf Dix. Und auch Alfred Seidel, der seinen Mandanten Rudolf Hess bis zu dessen letzten Tagen im Gefängnis Spandau 1987 immer wieder unterstützte.

Doch es gab auch Anwälte, die die Antipathie gegenüber ihren Mandanten nicht verheimlichten. So beklagte sich Ernst Kaltenbrunner in Privatgesprächen mit dem Gerichtspsychologen über seinen Anwalt Kurt Kauffmann. Der Anwalt sei ein zu gewissenhafter Mensch. Was er machte, sei unglaublich für den Anwalt gewesen. Er meinte damit die direkte Frage des Anwalts zu Auschwitz: Wann haben Sie erfahren, dass Auschwitz ein Vernichtungslager ist? Weichen Sie nicht aus,  antworten Sie knapp und klar!

Rosenbergs Anwalt Alfred Thoma verachtete seinen Namensvetter und Mandanten. Möge er sich freuen, dass ich dem Gericht nicht einige seiner Aussagen vorgelegt habe, teilte der dem Gerichtspsychologen Gustave Gilbert mit. Es gebe Aussagen, dass niemand mehr Zweifeln daran haben würde, dass er ein böser und unversöhnlicher Judenhasser sei, sagte er.

Laut Thoma ärgerte Rosenberg ihn mit seinen endlosen Erinnerungen an die Notwendigkeit, allen zu beweisen, dass die Verfolgung der Juden eine rechte Sache sei. Er sei einfach abscheulich, sagte der Rechtsanwalt.

Kaum bekannte Fakten und Einzelheiten darüber, wie die größten Kriegsverbrecher vor Gericht verteidigt wurden, sehen Sie in der Videolesung von Jegor Jakowlew.