Deutschland rüstete auf Kosten seiner politischen Gegner auf
Am 27. November stand der US-Ankläger Sidney Alderman am Rednerpult und zog ständig neue „Trümpfe aus dem Ärmel“, genauer gesagt neue Dokumente, die die politische Führung Deutschlands und die Wehrmacht überführten. Seine Aufgabe war, zu beweisen, dass die Kriegsabsichten Deutschlands kriminell waren. Dabei zeigte Alderman dem Tribunal nicht nur Dokumente, sondern auch ein Schema, auf dem die Expansion des Dritten Reiches auf der Landkarte nach und nach die Konturen eines Wolfes annahm. Hier sind einige Auszüge aus der Rede des Anklägers und der von ihm zitierten Dokumente.
Sidney Alderman zum geheimen Buch des Flottenoberkommandos „Kampf der Flotte gegen den Vertrag von Versailles von 1919 bis 1935“: „Das Vorwort umfasst den Kampf der Flotte gegen die ‚unerträglichen‘ Bedingungen des Friedensvertrags von Versailles. Im Inhaltsverzeichnis wurden etliche Einsätze der Flotte angeführt, wie beispielsweise die Bewahrung der Küstenwaffen entgegen den Forderungen von ‚Versailles‘, Maßnahmen zur Aufrüstung heimlich vor der Regierung und den Legislativorganen, den Wiederaufbau der Unterwasserflotte, die wirtschaftliche Umrüstung und die heimliche Umrüstung von 1933 und bis 1935, als alle Beschränkungen abgeschafft wurden.“
Antworten des Oberbefehlshabers der deutschen Kriegsmarine, Erich Röder, auf die Fragen der US-Anklage, 8. November 1945: „Die Flotte verfolgte immer das Ziel, den Vertrag von Versailles zu erfüllen, indem sie dabei einige Vorteile zurückgewann. Piloten wurden ein Jahr vor der Aufnahme in die Flottentruppen ausgebildet. Das waren noch ganz junge Männer. Damit wurde die Norm des Vertrags von Versailles erfüllt. Sie gehörten nicht der Flotte an, solange sie die Flugkunst übten. Es wurde der U-Bootsbau entwickelt, allerdings nicht in Deutschland, sondern in Holland. Dort gab es zivile Büros, und in Spanien gab es ein industrielles Büro, und auch in Finnland.“
Memorandum des Reichsbankpräsidenten, Hjalmar Schacht an Adolf Hitler vom 3. Mai 1935:
„Die intensive und umfassende Umsetzung des Aufrüstungsprogramms ist das größte Problem der deutschen Politik, und deshalb sollte alles andere nur diesem Ziel untergeordnet werden… Selbst nach dem 16. Mai 1935 blieb die Schwierigkeit darin, dass eine offene Propaganda und ideologische Bearbeitung des deutschen Volkes, um seine Unterstützung zu gewinnen, unmöglich war, ohne unserer internationalen Situation und unserem Außenhandel zu schaden… Im Portefeuille der Reichsbank wurden Gelder für dieses Ziel kumuliert, also für Finanzierung des Rüstungsprogramms… 4,064 Milliarden Reichsmark. Die Reichsbank hat in das Rüstungsprogramm auch den größten Teil der Reichsmark investiert, die ihr zur Verfügung standen, aber Ausländern gehörten. Damit wird unsere Rüstung teilweise auf Kosten der Einlagen unserer politischen Gegner finanziert.“
Im selben Monat, am 22. Mai, wurde im „Völkischen Beobachter“, der wichtigsten Nazi-Zeitung, Hitlers Artikel unter dem Titel „Der Führer hat der Welt den Weg zum richtigen Frieden verkündet“ veröffentlicht.
Vortrag des Stabschefs der operativen Wehrmachtführung, Alfred Jodl, für die NSDAP-Führung. 7. November 1943 in München: „Österreichs Anschluss führte seinerseits nicht nur zur Verwirklichung der langjährigen nationalen Hoffnungen, sondern auch zur Stärkung unserer Kampffähigkeit – und verbesserte wesentlich unsere strategische Lage. Während das Territorium der Tschechoslowakei bis zum Anschluss sehr gefährlich in die Mitte Deutschlands eindrang (die ‚Wespentaille‘ in Richtung Frankreich und Fliegerstützpunkte für die Alliierten, insbesondere für Russland), ist die Tschechoslowakei jetzt, nach dem Anschluss, selbst in einen Kessel geraten.“
Auftritt Sidney Aldermans vor dem Tribunal: „In der ersten Tabelle sehen Sie einen jungen Wolf. Ihm fehlt der Unterkiefer – der rot markierte Teil. Als aber der Wolf vorrückte und Österreich eroberte – das war der Anschluss – wurde dieser rote Abschnitt schwarz. Er wurde zu den Kiefern des Wolfes. Und als er diesen Unterkiefer bekam, geriet die Tschechoslowakei genau in die Schnauze des Wolfes…
In der zweiten Tabelle sehen Sie Berggebiete – die befestigten Teile der Tschechoslowakei. Rot ist das Sudetenland markiert, das im Sinne des Münchner Paktes übergeben wurde. Und am Ende geriet die kleine Tschechoslowakei in die Schnauze des Wolfes…
Und schließlich sehen Sie in der dritten Tabelle den kleiner gewordenen roten Abschnitt, der in zwei Teile ‚zerschlagen‘ wurde. Alles, was man tun musste, war, Böhmen und Mähren zu erobern. Der Wolfskopf wurde zu einem einzigen schwarzen Fleck auf der Europakarte, mit Pfeilen, die auf weitere Aggressionen hinweisen. Und diese Aggressionen wurden auch Realität…
Das ist das visuelle Bild von dem, was ich nie vergessen werde. Es zeigt die Unvermeidlichkeit von all dem, was nach der Eroberung Österreichs passierte.“
Adolf Hitlers Rede am 1. September 1939, dem Tag des Überfalls auf Polen und des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs:
„Seit mehr als sechs Jahren bemühte ich mich darum, die deutschen Streitkräfte zu bilden. In dieser ganzen Zeit wurden mehr als 90 Milliarden Reichsmark für die Bildung der Streitkräfte ausgegeben, und jetzt sind unsere Streitkräfte die besten in der Welt, ob aus der Sicht der Quantität oder Qualität. Sie sind jetzt viel besser als 1914. Ich bin von unseren Streitkräften unerschütterlich überzeugt.“
Einen Tag später wurde die Rede im „Völkischen Beobachter“ veröffentlicht – unter dem Titel „Der Führer hat den Kampf für Gerechtigkeit und Sicherheit des Reiches ausgerufen“.
Quelle:
Stenogramm der Nürnberger Prozesse. Redaktion und Übersetzung von S. Miroschnitschenko.