23 Bände von neuen Archivdokumenten über Kriegsverbrechen veröffentlicht
In Russland wurden 23 Bände mit Archivdokumenten “Ohne Strafverjährung“ veröffentlicht – neue Beweise für den Völkermord an Zivilisten durch die Nazis und ihre Komplizen auf dem Territorium der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges ergänzen die Dokumente, die den Beschuldigungen bei den Nürnberger Prozessen vor 75 Jahren zugrunde lagen.
Die Veröffentlichung der Dokumente wurde von der „Poiskowoje dwischenije“ („Suchbewegung“) initiiert. Zusammen mit der Russischen Gesellschaft der Historiker und Archivare wurden etwa 7.000 Urkunden aus 47 Regionalarchiven für diese Sammlung untersucht. Die Einführung neuer Dokumente in den wissenschaftlichen Kreislauf würde einen Ansporn zu neuen historischen Forschungen geben, sagte die Leiterin der Suchbewegung und Expertin für Militärarchäologie, Elena Tsunaewa, im Gespräch mit Sputnik.
„Wir hoffen, dass die neue Sammlung von Archivdokumenten weitere Impulse für die historische Forschung geben wird. Viele in dieser Sammlung veröffentlichte Materialien wurden nicht rechtzeitig in die Akten der Staatsanwaltschaft bei den Nürnberger Prozessen aufgenommen. Die Verbrechen wurden benannt, es gab viele dokumentarische Beweise. Doch zum Zeitpunkt des Prozesses gegen die NS-Verbrecher und ihre Komplizen waren jedoch nicht alle Dokumente gesammelt und nicht alle Zeugen befragt worden.Die unmittelbar nach dem Krieg in der Sowjetunion eingeleiteten Ermittlungsfälle waren ebenfalls noch nicht abgeschlossen. Unter den Dokumenten, die in die neue Sammlung aufgenommen wurden, befinden sich daher Ergänzungen zu den in Nürnberg verhandelten Überzeugungen“, so die Expertin.
Laut Elena Tsunaewa wurden bei den Nürnberger Prozessen nicht alle Themen im Zusammenhang mit den Ereignissen auf dem Territorium der UdSSR angesprochen. Die jüngste Ausgabe nennt neue Verbrechen, die in Nürnberg nicht berücksichtigt und nicht in die Anklage der Gerichte aufgenommen wurden.
Nach den Nürnberger Prozessen fanden bereits in den 1960er Jahren in der UdSSR Prozesse gegen Kriegsverbrecher statt. So wurde in der Region Nowgorod ein Gerichtsverfahren gegen die Soldaten der Wehrmacht wie auch gegen die sowjetischen Bürger abgehalten, die sich zu den Feinden schlugen und direkt an Strafoperationen teilnahmen. Das sind mehr als 5.000 Dokumente über die Erschießung von Kindern, über niedergebrannte Dörfer und die erzwungene Entführung von Sowjetbürgern unterschiedlichen Alters nach Deutschland. Einige der entführten Bürger konnten zurückkehren und vor Gericht gegen NS-Verbrecher aussagen.
„Wir haben die Aspekte analysiert, die in Nürnberg angesprochen und anschließend als Völkermord eingestuft wurden. Wir glauben, dass die Politik von Nazideutschland und seinen Verbündeten im vorübergehend besetzten Gebiet der UdSSR und insbesondere der Russischen Föderation, unter den Artikel „Völkermord“ fällt. Das Gericht in der Region Nowgorod hat ein Urteil gegen die Handlungen der Wehrmacht im Dorf Schestjanaja Gorka gefällt, die als Völkermord eingestuft wurden. Dieser Präzedenzfall kann für eine ähnliche rechtliche Beurteilung in Bezug auf andere Verbrechen des Nationalsozialismus auf dem Territorium des heutigen Russlands verwendet werden“, bemerkte die Geschichtswissenschaftlerin.
Elena Tsunaewa weist darauf hin, dass die Verurteilung des Völkermordes zu einem der Grundsätze der internationalen Beziehungen wurde, die in den Nürnberger Prozessen festgelegt wurden. Das Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordverbrechens wurde durch die Resolution 260 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948, also nach dem Ende der Nürnberger Prozesse und der Verurteilung von NS-Verbrechern, verabschiedet. Entsprechend den Qualifikationen, die der Artikel „Völkermord“ impliziert, wurden viele NS-Verbrecher nicht verurteilt.
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Natalia Pawlowa