Der begabte Journalist Walther Funk diente den Nazis gleich in zwei Bereichen. Er war zuständig für die deutsche Presse und deren Versklavung sowie für die Wirtschaft des Dritten Reichs, die Ausgrenzung und Enteignung der Juden, auch nach ihrem Tod. Doch seine Karriere endete unrühmlich – Funk verlor seinen Einfluss und versank in Alkoholsucht.

Sachverständiger für Wirtschaftsfragen

Walther Immanuel Funk wurde am 18. August 1890 in Trakehnen (damals Ostpreußen, heute Jasnaja Poljana in der russischen Ostsee-Exklave Gebiet Kaliningrad) in der Familie eines Geschäftsmanns geboren. Sein Onkel war der Pianist Alfred Reisenauer, Lieblingsschüler des Komponisten Franz Liszt.

Seit 1908 studierte Funk Recht, Wissenschaft, Literatur und Musik an Universitäten in Leipzig und Berlin. 1912 bekam er den Doktortitel in Rechtswissenschaften. Danach arbeitete er als Journalist in verschiedenen Zeitungen, darunter "Berliner National-Zeitung" und "Leipziger Neuesten Nachrichten".

1915, während des Ersten Weltkriegs wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, doch bereits 1916 wegen eines Blasenleidens entlassen.

Ab 1916 war Funk Redakteur im Wirtschaftsressort  der Berliner Börsen-Zeitung und von 1921 bis 1930 deren Chefredakteur. Bald avancierte er zu einem der besten Wirtschaftsjournalisten in Deutschland – er veröffentlichte Artikeln in zahlreichen Fachzeitschriften, war Sachverständiger für Wirtschaftsfragen, hielt Vorträge auf internationalen Kongressen und Tagungen.

1919 heiratete er Luise Schmidt-Sieben, Tochter eines Unternehmers. Wie er selbst zugab, war er schon ziemlich erfahren in Liebesfragen. Die Krankheiten begannen, als er sich mit Syphilis im Alter von 13 Jahren ansteckte, in einer Bierstube in Ostpreußen. Im Keller der Bierstube hatten Schüler, darunter auch er, gegen Geld Sex mit den Kellnerinnen, erzählte er dem Gefängnisarzt in Nürnberg. Laut der Dolmetscherin Margarita Nerutschewa berichtete Funk den Aufsehern gerne von seinen „Erfolgen“ in seinem Sexleben. Er erinnerte sich oft an Berliner Kneipen mit dubiosem Ruf und begleitete seine Erzählungen mit frivolen Liedern. Er habe den besten Wein und Champagner getrunken, häufig die Nacht durchgefeiert, immer viel gegessen und getrunken, und natürlich gab es viele Mädchen, Nackttänzerinnen, auch sie seien die besten gewesen, erzählte Funk.

Für Aufsehen in Finanzkreisen sorgte er 1920 mit einem Artikel, wo er die Rolle der Banken bei Gesetzgebungsverfahren analysierte. Als 1923 seine Broschüre über die Geldreform erschien, zeigten Vertreter des Reichsverbands der Deutschen Industrie diese dem Finanzminister Hans Luther und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht.

Das Reichsbankgebäude in Berlin
Das Reichsbankgebäude in Berlin
© Public Domain

Mit Unterstützung von Großunternehmern und Beamten wurde er 1927 zum Vorsitzenden des „Sachverständigenausschusses für Presseangelegenheiten“ des Berliner Börsenvorstandes und der Berliner Industrie- und Handelskammer ernannt, von 1928 bis 1930 war er geschäftsführendes Vorstandsmitglied der „Gesellschaft für deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Er unterhielt enge Verbindungen zu Großindustriellen des Ruhrgebiets, der so genannten Ruhrlade.

Persönlicher Wirtschaftsberater Hitlers

Im Frühjahr 1931 lernte Funk Adolf Hitler kennen, dessen Persönlichkeit ihn nach eigenen Angaben tief beeindruckte. Hitler versicherte dem zunächst skeptischen Funk, dass das damalige wirtschaftspolitische Programm der Nationalsozialisten, das sich vor allem auf den Ideen von Gottfried Feder – eines der NSDAP-Gründers und vehementen Kritikers des Kapitalismus - stützte, im Fall einer Regierungsübernahme durch die Nazis nicht mehr maßgeblich sein würde. Sie sah die Verstaatlichung der Industrieunternehmen, Beschlagnahmung der Grundstücke für öffentliche Bedürfnisse ohne Entschädigung, die Enteignung großer Geschäftsinhaber und kostengünstige Verpachtung an Kleinunternehmer, die Todesstrafe für Spekulation und Verbot von nicht erarbeiteten Einkommen vor. Hitler schlug Funk vor, eine alternative Wirtschaftspolitik auszuarbeiten.

Am 1. Juni 1931 trat Funk in die NSDAP ein, in der er wegen seiner guten Kontakte zu Kapital und Industrie schnell in wichtige Ämter aufstieg. Ab Mai 1931 war er Herausgeber des „Wirtschaftspolitischen Diensts“ der NSK, im Juli wurde er auf Empfehlung Hjalmar Schachts von Hitler zu seinem persönlichen Wirtschaftsberater berufen.

Hjalmar Schacht
Hjalmar Schacht
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„Der Angeklagte Funk agierte kurz nach seinem Beitritt zur NSDAP als jemand, der zu einem  engen Kreis der Nazi-Verschwörer gehörte“, sagte US-Nebenkläger Bernard Meltzer auf dem Nürnberger Prozess, der Beweise der individuellen Verantwortung Funks vorlegte. „Zudem leistete er als Wirtschaftstheoretiker der Partei in den kritischen Tagen im Jahr 1932 einen großen Beitrag zum massenhaften Zuspruch für die Partei, indem er die Wahlslogans der Partei für den Wirtschaftsbereich kreierte“.

Adolf Hitler in der Reichstagssitzung
Adolf Hitler in der Reichstagssitzung
© Bundesarchiv, Bild 183-1987-0703-507 / CC-BY-SA 3.0

Dank Schacht und Funk wechselten die Nationalsozialisten vom Sozialismus, der die Interessen der deutschen Großunternehmer bedrohte, zum Kapitalismus. Der Klassenkampf wurde laut Hitler-Anhängern vom Juden Karl Marx erfunden, weshalb in einem Nationalstaat keine ungelösten Widersprüche zwischen den Eigentümern und Angestellten, die gemeinsame Sache machen, geben darf. Natürlich sind in einer gerechten Gesellschaft keine Gewerkschaften nötig – später wurde stattdessen die Deutsche Arbeitsfront mit Robert Ley an der Spitze gegründet.

Alfred Hugenberg, Robert Ley, Joseph Goebbels und Walter Funk bei der 25-Jahr-Feier der UFA, 1943
Alfred Hugenberg, Robert Ley, Joseph Goebbels und Walter Funk bei der 25-Jahr-Feier der UFA, 1943
© Bundesarchiv, Bild 183-J05504 / CC-BY-SA 3.0

Die Betriebe der Ruhrlade nutzten Funk als Mittelsmann für ihren Spenden in Höhe mehrerer Millionen Reichsmark für die NSDAP. Er sicherte die Kontakte der Nazis mit Großindustriellen wie Emil Kirdorf, Fritz Thyssen, Albert Vögler und Friedrich Flick. Sie sponserten nicht nur die NSDAP, sondern übten auch Druck auf den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg aus, damit er Hitler zum Reichskanzler ernennt.

„Er förderte die Machtübernahme durch die Nazi-Verschwörer und die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland, wie es im ersten Anklagepunkt steht, er förderte Kriegsvorbereitungen, wie es im ersten Anklagepunkt steht, er beteiligte sich an der militärischen und wirtschaftlichen Planung und Vorbereitung der Angriffskriege und Kriege, die internationale Verträge, Abkommen und Vereinbarungen verletzen, wie es im ersten und zweiten Anklagepunkten steht, er genehmigte, leitete und beteiligte sich an Kriegsverbrechen, die im dritten Anklagepunkt angegeben sind, und an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im vierten Anklagepunkt angegeben sind, insbesondere Verbrechen gegen einzelne Personen und Eigentum, die mit der wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete verbunden sind“, las US-Chefankläger Sydney Alderman  die Anklageschrift vor.

Betreuer der Presse

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nazis im Februar 1933 ernannte Hitler Funk zu seinem Berater. Im März 1933 wurde er zum Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) berufen, wobei Joseph Goebbels keineswegs begeistert über diese Entscheidung war. Der bürgerliche Funk sollte offenbar gegenüber dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg als ausgleichendes Element für den von Hindenburg wenig geschätzten Heißsporn Goebbels dienen. Als Staatssekretär war Funk für die Abteilungen IV (Presse) und I (Verwaltung) des RMVP zuständig. Funks Amt hatte daher auch die Bezeichnung „Pressechef der Reichsregierung“.

„Er war die Seele des Ministeriums, ohne ihn hätte es Goebbels nicht geschafft, es zu gründen. Goebbels sagte mir früher, dass Funk sein bester Mitarbeiter war“, betonte der Präsident der Reichspressekammer, Max Amann, in den Zeugenangaben, die auf dem Nürnberger Prozess vorgelesen wurden. „Funk hatte de facto die Kontrolle über alle Massenmedien – Presse, Theater, Radio und Musik. Als Pressechef traf sich Funk jeden Tag mit dem Führer und führte jeden Tag Pressekonferenzen durch, bei denen er Anweisungen bezüglich der Informationsmaterialien erteilte, die in der deutschen Presse veröffentlicht werden sollten“.

Joseph Goebbels
Joseph Goebbels
© Bundesarchiv, Bild 183-L04035 / CC-BY-SA 3.0

Es gab aber auch ganz andere Meinungen. Unser neuer Chef war eine Person, die im Beamtenapparat sehr deplatziert wirkte, er war ein versoffener Journalist. Er arbeitete einige Zeit in der „Berliner Börsenzeitung“, wurde dort jedoch vor einigen Jahren wegen Faulheit entlassen, erinnerte sich der ehemalige Beamte des Ministeriums, Wolfgang Putlitz. Funk hatte einen großen Bauch, einen bohrenden Blick mit seinen gläsernen Augen. Abgerissene, oft miteinander nicht verbundene Worte kennzeichneten sich durch den starken Dialekt der Randgebiete Ostpreußens. Paul von Hindenburg nannte ihn „Mein edler Trakehner“, er war nicht fähig zu einer regelmäßigen, tüchtigen Arbeit, so Pulitz.

Am 15. November 1933 wurde Funk zum stellvertretenden Präsidenten der Reichskulturkammer berufen. Dieses Gremium kümmerte sich um alle Intellektuelle des Dritten Reiches und kontrollierte streng ihre Tätigkeit. Jeder deutsche Schriftsteller, Künstler, Musiker, Schauspieler bzw. Journalist musste Mitglieder der Kammer sein.

Juden beraubt - vor und nach ihrem Tod

Funks Karriere in Hitler-Deutschland beschränkte sich nicht nur auf Propaganda. Im November 1937 trat wegen Meinungsverschiedenheiten mit Hitler der Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht zurück. Im Januar 1938  wurde Funk, der gleichzeitig Chefbevollmächtigter für Wirtschaftsfragen war, dessen Nachfolger. Nach weniger als einem Jahr löste er Schacht auf dem Posten des Reichsbankpräsidenten ab. Ab August 1939 war er als Mitglied des Ministerrats für die Reichsverteidigung für kriegswirtschaftliche Maßnahmen verantwortlich.

Die erste Massenaktion physischer Gewalt gegen Juden durch das Dritte Reich war die Kristallnacht im November 1938
Die erste Massenaktion physischer Gewalt gegen Juden durch das Dritte Reich war die Kristallnacht im November 1938
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Funk spielte eine Schlüsselrolle bei der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben des Dritten Reiches und der Enteignung ihres Vermögens
Funk spielte eine Schlüsselrolle bei der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben des Dritten Reiches und der Enteignung ihres Vermögens
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Auf dem Nürnberger Prozess rechtfertigte sich Funk damit, dass er keine eigene Initiative zeigte und nur direkte Anweisungen Hitlers und Görings  befolgte – er musste das tun, was Göring sagte. Allerdings kann man die Befehle, die Funk erteilte, nicht mit alleine mit Druck von oben erklären.

Er spielte die Schlüsselrolle bei der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben des Dritten Reiches und bei der Beschlagnahme ihres Eigentums (es sei zu erinnern, dass Hjalmar Schacht sich gegen den staatlichen Antisemitismus gewehrt hatte). Funk bereitete die dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 und die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 6. Juli 1938 vor. Mit den beiden Dokumenten wurden die wirtschaftlichen Aktivitäten der deutschen Juden zum Stillstand gebracht.

Der Staat und die Wirtschaft seien eine Einheit, und beides sollte nach denselben Grundsätzen verwaltet werden, schrieb Funk am 17. November 1938 in der „Frankfurter Zeitung“. Der beste Beweis dafür waren nach seinen Worten die jüngsten Maßnahmen zur Lösung des Judenproblems in Deutschland. Es wäre unmöglich, Juden aus dem politischen Leben des Dritten Reiches zu verdrängen, ihnen aber gleichzeitig wirtschaftliche Aktivitäten zu erlauben.

„Am 3. Dezember 1938 unterzeichnete der Angeklagte ein Dekret, das zusätzliche und grausame wirtschaftliche Repressalien gegen Juden vorsah, Beschlagnahme und zwangsläufige Liquidierung ihres Eigentums ermöglichte“, betonte Bernard Meltzer. „Der Angeklagte Funk hat seine Verantwortung für wirtschaftliche Verfolgung der Juden eingeräumt und sein Bedauern zum Ausdruck gebracht.“

Als Präsident der Reichsbank nahm Funk von der SS Goldschmuck an, der von Opfern der Konzentrationslager gesammelt worden war.
Als Präsident der Reichsbank nahm Funk von der SS Goldschmuck an, der von Opfern der Konzentrationslager gesammelt worden war.
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Am 9. August 1940 mussten deutsche Juden feststellen, dass sie nicht nur kein Geld mehr verdienen durften, sondern dieses auch ausgeben: Ihre Bankkonten wurden auf Funks Verfügung gesperrt. Und 1942 wurde diese Beraubung zu Lebzeiten durch postmortale „vervollkommnet“. Der Chefbanker des Dritten Reiches traf eine geheime Vereinbarung mit dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler, der zufolge Wertgegenstände der in Konzentrationslagern getöteten Juden nicht ihren Verwandten, sondern der Reichsbank überlassen werden sollten. Die Reichsbank durfte Münzen und Geldscheine behalten, und Schmucksachen, Uhren und andere persönliche Gegenstände erhielten Berliner Pfandleihen. Dabei wurde der Schutzstaffel der Aufwand für Zustellung dieser Güter ausgeglichen.

„Als Wirtschaftsminister beschleunigte Funk die Aufrüstung, und als Präsident der Reichsbank ließ er in der Bank goldene Jacketkronen von KZ-Opfern aufbewahren“, betonte der US-amerikanische Chefankläger Robert Jackson in seiner Abschlussrede. „Das war wohl die schrecklichste Einnahmequelle in der Geschichte des Bankwesens.“

„Europäische Union“ auf Nazi-Art

„Es ist klar, dass der Angeklagte Funk enorme Macht über wichtige Bereiche der deutschen Wirtschaft hatte, deren Organisation das Endziel hatte, den Krieg vorzubereiten“, behauptete Bernard Meltzer. „Die Entstehung der einst starken deutschen Kriegsmaschinerie, die sich auf die gründliche wirtschaftliche Vorbereitung stützte, war unter anderem den Aktivitäten des Angeklagten Funk zu verdanken, die den Interessen der Aggression der Nazis untergeordnet waren.“

20-Reichsmark-Banknote, ausgegeben im Juni 1939
20-Reichsmark-Banknote, ausgegeben im Juni 1939
© Public Domain, Deutsche Reichsbank Berlin

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs bekam Funk die Wirtschaft der besetzten Länder zur Verfügung: zunächst Polens, dann auch der Skandinavischen Länder, der Benelux-Länder und Nordfrankreichs. Am 25. Juli 1940 trat er mit einer Programmrede zum Thema „wirtschaftliche Reorganisation Europas“ auf.

Funks Plan, an dem auch der Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums, Gustav Schlotterer mitwirkte, sah Deutschlands wirtschaftliche Dominanz in Europa vor. Die europäischen Währungen sollten vom Goldstandard losgebunden werden, wobei ihr Wechselkurs strikt festgelegt werden sollte; die Zollbarrieren zwischen den Ländern sollten abgeschafft werden, das Ruhrgebiet sollte einen „einheitlichen Wirtschaftsraum“ mit Nordfrankreich und Benelux bilden. Der Minister war überzeugt, dass diese Methoden nicht nur der „großdeutschen Wirtschaft“, sondern auch den besetzten Ländern gut tun würden.

Hitler wusste den Plan zu schätzen und zeichnete den Reichswirtschaftsminister im Winter 1942 mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse aus.

Von der Mobilmachung zum Scheitern

Aber bald musste man wieder kleinere Brötchen backen. Am 4. Februar 1943 ließ Funk alle Industrie-, Handels- und Gastronomiebetriebe schließen, die mit der Versorgung der Wehrmacht nicht verbunden waren. Im Grunde war das die Einräumung, das die Situation an der Front immer schlimmer wurde. Bis dahin hatte Deutschland im Unterschied zur Sowjetunion noch nie ihre ganze Wirtschaft dem Krieg untergeordnet, so dass das Leben im Hinterland mehr oder weniger normal verlaufen war. Aber die immer häufigeren Niederlagen an der Ostfront spielten ihre negative Rolle.

Walter Funk auf der Anklagebank bei den Nürnberger Prozessen
Walter Funk auf der Anklagebank bei den Nürnberger Prozessen
© Public Domain

Im September 1943 wurde Funk Mitglied des zentralen Planungsstabs im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Aber schon seit 1944, als die Rote Armee immer weiter nach Westen zog, verlor er immer mehr an Einflusskraft. Der Rüstungsminister Albert Speer übte offen Kritik an Funks Arbeit, der weder seine wirtschaftlichen noch seine politischen Aufgaben erfüllte. Der einst ambitionierte Wirtschaftsminister, der ohnehin immer gerne Alkohol trank, ist „auf Sauftour“ gegangen und schaute nur wortlos zu, wie die Situation immer mehr außer Kontrolle geriet.

Von Funks Zustand zeugte eine Geschichte ganz deutlich, die sich um die schwedische Schauspielerin Zarah Leander entwickelte, die in Deutschland arbeitete und Antikmöbeln in die Heimat ausführen wollte, aber lange Zeit keine Genehmigung bekommen konnte. Dann ließ sich Zarah Leander etwas einfallen und lud Funk, der an der Spitze der zuständigen Kommission stand, in ihre Berliner Villa ein.

„Als Funk ein Glas mit Champagner hob und prosten wollte, fragte Leander ihn, ob er tatsächlich dieses ‚Frauengetränk‘ bevorzugte“, erinnerte sich Leanders Biografin Anna Maria Sigmund. „‚Eigentlich ziehe ich etwas Stärkeres vor‘, erwiderte Funk. ‚Na wunderbar! Ich auch!‘“ Dabei soll die Schauspielerin den Minister zu einem Trinkwettbewerb aufgefordert haben, und dieser soll zugestimmt haben. Wer verlieren sollte, hatte einen Wunsch des Gewinners bzw. der Gewinnerin zu erfüllen. Funk, der zuvor nichts gegessen haben soll, hat angeblich nur einen halben Liter Wodka getrunken, und Leander, die vorher Sardinen in Sonnenblumenöl gegessen hatte, gewann. Schon einen Tag später saß sie in Funks Arbeitszimmer mit Zollunterlagen und bestand darauf, dass er diese unterschreibt. „Der Minister, der einen furchtbaren Kater hatte, setzte schweigend seine Unterschrift“, so Sigmund.

Der Angeklagte Walter Funk bei den Nürnberger Prozessen.
Der Angeklagte Walter Funk bei den Nürnberger Prozessen.
© Nikolai Zhukov

Später kam das Funk teuer zu stehen: Seine schwachen Nerven machten jeden Lärm und helles Licht für ihn unerträglich; er musste immer häufiger auf Morphium, Kokain und Schlaftabletten zurückgreifen, um die chronische Schlaflosigkeit und Unruhe in den Griff zu bekommen.

Obwohl Hitler in seinem politischen Testament vom 29. April 1945 Funk den Posten des Reichswirtschaftsministers überlassen hat, war sein Stuhl bereits verbrannt. Der neue Reichspräsident Karl Dönitz sah ein, dass es in Deutschland, das bereits von der Sowjetunion und den Alliierten besetzt war, keine zivile Wirtschaft geblieben war. Am 1. Mai 1945 musste Funk den Posten räumen, und zu seinem Nachfolger wurde Speer ernannt.

Im Juni wurde Funk im Ruhrgebiet von den Briten festgenommen und im November in Nürnberg vor Gericht gestellt.

„Es ist völlig offensichtlich, dass sich der Angeklagte Funk an jeder Phase des Programms der Verschwörer beteiligte – von der Machtübernahme und bis zur letzten Niederlage“, betonte Bernard Meltzer. „Er handelte immer effizient, manchmal vielleicht mehr getarnt als die anderen, und trug zur Umsetzung des Nazi-Programms bei, das von Anfang an gnadenlosen Terror und gnadenlose Gewalt in und notfalls auch außerhalb von Deutschland vorsah. Wir behaupten, dass er die unmittelbare und riesengroße Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit trägt“, resümierte er.

Allerdings behauptete Funk seine Unschuld. Er habe nie absichtlich oder ohne Absicht etwas unternommen, was der Grund für diese Vorwürfe sein könnte. Und falls er unwissentlich die in der Anklageschrift aufgezählten Verbrechen begangen haben sollte, sollte seine Schuld als seine persönliche Tragödie und nicht als Verbrechen betrachtet werden. Als im Sitzungssaal Bilder aus Konzentrationslagern gezeigt wurden, brach er in Tränen aus und erklärte, nicht die geringste Ahnung von mobilen Gaskammern  oder von anderen Gräueltaten gehabt zu haben. Und er war wohl der einzige von allen Angeklagten, der immer wieder sagte, er würde sich unerträglich schämen.

Nürnberger Prozesse, Angeklagte Julius Streicher, Walter Funk und Hjalmar Schacht.
Nürnberger Prozesse, Angeklagte Julius Streicher, Walter Funk und Hjalmar Schacht.
© Nikolai Zhukov

„Unter uns gibt es keinen einzigen, der mit reinem Gewissen sagen könnte, er würde überhaupt keine moralische Verantwortung für die Verbrechen tragen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass mich mein Gewissen seit dem Moment nicht in Ruhe lässt, als ich dieses Gesetz über Entfremdung des Eigentums der Juden unterzeichnet habe. Ob ich im Sinne des Gesetzes schuldig bin oder nicht, ist eine andere Frage. Aber die moralische Verantwortung dafür liegt auf mir – da gibt es keine Zweifel. (…) Ich hätte einst auf die Meinung meiner Gattin hören müssen. Sie sagte, ich sollte dieses Minister-Portefeuille zum Teufel schicken, und wir könnten in eine Dreizimmerwohnung umziehen – das wäre viel besser gewesen als an diesen schändlichen Dingen teilzunehmen… Wenn wir alle zusammen gehandelt und uns eines Tages  geweigert hätten, an diesen Schandtaten teilzunehmen, hätten wir vielleicht das Schlimmste verhindern können. Die moralische Schuld hat für keinen von uns eine Ausnahme gemacht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass dieses Gericht jemanden von uns freisprechen würde.“

 

Quellen:

Konstantin Salesski. „Wer war wer im Dritten Reich: Biografisches enzyklopädisches Wörterbuch“.

Olga Fedjanina. „Das Schicksal des faschistischen Menschen“.

Gustave Mark Gilbert. „Nürnberger Tagebuch“.

Wolfgang Gans Putlitz. „Unterwegs nach Deutschland. Erinnerungen eines ehemaligen Diplomaten“.

Margarita Nerutschewa. „Vierzig Jahre Einsamkeit. Notizen einer Militärübersetzerin“.

Anna Maria Sigmung. „Die Frauen der Nazis“.

Stenogramm des Nürnberger Prozesses. Bänder I, IV/Aus dem Englischen übersetzt und kompiliert von Sergej Miroschnitschenko.

Ernst Hanfstaeng. „15 Jahre mit Hitler. Zwischen Weißem und Braunen Haus“

Walther Funk — Beamte nationalsozialistischer Reichsministerien // Beamte nationalsozialistischer Reichsministerien

Thomas Sandkühler. „Europa und der Nationalsozialismus. Ideologie, Währungspolitik, Massengewalt“

Christopher Kopper. „Bankiers unterm Hakenkreuz“

Heinz Handler. Vom Bancor zum Euro. Und weiter zum Intor?

Dieter Suhr, Hugo Godschalk. „Optimale Liquidität. Eine liquiditätstheoretische Analyse und ein kreditwirtschaftliches Wettbewerbskonzept“

Harold James. “International Monetary Cooperation Since Bretton Woods”

 

Daniil Sidorow