Es mag zwar paradox erscheinen, doch auch Adolf Hitler hatte einen Verteidiger seiner Legitimität: Rechtsanwalt Hans Michael Frank. Er hatte zwar nichts gegen Nationalsozialismus und Vernichtung der Feinde des Dritten Reichs, war aber auch überzeugter Menschenrechtler. Ein Verteidiger des von den Faschisten geschaffenen „Rechts“. Die unmenschlichen Repressalien waren für Frank nicht abstoßend – seiner Ansicht nach sollte der Staat strikt nach Gesetz Menschen inhaftieren und töten.

Heutzutage handelt es sich bei einem Rechtsstaat bzw. „Diktat des Gesetzes“ um einen demokratischen Staat. In der Tat schreibt jedes politische System die Gesetze für sich selbst, um die eigenen Interessen zu verteidigen. Basierend auf dieses juristische Fundament setzt der Staat das „Diktat des Gesetzes“ durch. Solche „Verteidiger“ des politischen Systems gab es auch unter den Nazis.

Franks ungebremstem Eifer für rechtsstaatliche Prinzipien teilten nicht alle an der Spitze der Machtpyramide des Dritten Reichs. Himmler, Bormann und Goebbels waren der Ansicht, dass das Ergebnis über allem steht  – ob durch „juristische Abrechnungen“ oder in der „Gaskammer“ getötet wurde, war dabei völlig egal. Die Intrigen und Konflikte zwischen Frank und mehreren einflussreichen Offiziellen des Dritten Reichs zogen sich in die Länge. Hans Frank bat Hitler sogar um Hilfe, als er vor zuhörenden Juristen eine Rede hielt. Dabei sagte er, dass der Führer die  Menschenrechtler schützen müsse.

Adolf Hitler war aber auch der Meinung, dass das Ergebnis wichtiger als Rechtsverfahren ist. Als Hitler wegen Franks Beschwerden genug hatte, setzte er ihn von allen Posten ab. Er wurde zum  Generalgouverneur Polens ernannt. In diesem Amt war Hans nach Ansicht Hitlers noch nützlich für das Dritte Reich. Der Führer behielt offenbar Recht, weil der in Ungnade gefallene Frank sich gerade dort mit großem Elan seinem Beinamen „Der Schlächter von Polen“ gerecht wurde.

Hans Frank wurde auf die Anklagebank in Nürnberg gesetzt und fand sich in einem für völlig fremden „Rechtsfeld“ wieder.

SA-Mann, Nazi-Veteran, Anwalt

Da Hans Frank 1900 geboren wurde, ging er in die Armee bereits Ende des Ersten Weltkriegs, allerdings nicht an die Front. Er studierte Jura in München und Kiel. 1924 erhielt er den Doktortitel. Als junger Jurist zeigte er früh Interesse am Nationalsozialismus, obwohl es auch Beweise gibt, dass er zuvor eine Zeitlang Anhänger von Kurt Eisner (linker Politiker, Teilnehmer der Novemberrevolution, erster Ministerpräsident Bayerns) war. Doch diese Phase ging schnell vorbei. Bereits im September 1923 trat Hans Frank der Sturmabteilung bei. Er beteiligte sich am gescheiterten Bierkeller-Putsch Hitlers und galt als Veteran der faschistischen Bewegung.

Als persönlicher Anwalt verteidigte Hans Frank Hitler auf 150 verschiedenen Prozessen – vor der Machtübernahme stand Hitler oft vor Gericht. Auch eine delikate Aufgabe hatte er übernommen – er führte eine geheime Untersuchung durch, die bewies, dass in Hitler kein Tröpfchen jüdisches Blut fließt.

Frank wurde der wichtigste Anwalt der NSDAP, er verteidigte regelmäßig Nazis vor Gericht. Besonders populär wurde er in NSDAP 1930, als er vor dem Militärgerichtshof drei Offiziere der Reichswehr, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur Naziorganisation angeklagt wurden, vertrat. Der Prozess sorgte für großes Aufsehen in der Presse, weil Hitler gegen die damalige deutsche Führung aussagte.

Generalgouverneur: Kolonisator, Sklavenbesitzer, Henker

Es ist nicht erstaunlich, dass Frank nach der Machtübernahme durch die Nazis rasant Karriere machte, der seit dieser Zeit wichtige und angesehene Posten im Reich innehatte. Er war unter anderem Justizminister Bayerns und Reichsjustizminister, Gründer der Akademie für deutsches Recht, Reichstagsabgeordneter. Doch sein bekanntester Posten war Generalgouverneur der besetzten Gebiete Polens – er wurde zu einem der größten Organisatoren des großen Terrors gegen Polen und Juden.

Als Deutschland Polen besetzte, wurden einige Teile des Landes annektiert (Poznan, Katowice, Pomorie), andere in Generalgouvernement aufgenommen, deren Hauptstadt Krakau wurde. Warschau gehörte auch dazu. Natürlich hatten die Deutschen vollständig die Macht über diese Gebiete. Im Generalgouvernement galten nur deutsche Gesetze.

Auf den Landkarten, die zwischen 1940 und 1941 in der Sowjetunion herausgegeben wurden, wurde das Generalgouvernement in Polen als Gebiet der staatlichen Interessen Deutschlands bezeichnet. Die Grenze zwischen dem Generalgouvernement und Deutschland entsprach auf diesen Karten der Staatsgrenze zwischen dem Deutschen Reich und dem Russischen Reich vor dem Ersten Weltkrieg. In diesem großen Gebiet herrschte nun Hans Frank.

Auf den Nürnberger Prozessen versuchte er die Richter davon zu überzeugen, dass er in der Tat nicht die vollen Machtbefugnisse hatte, weil Himmler und andere aus dem Umfeld Hitlers ihn ständig störten und oft über seine Handlungen nicht berichteten. Das stimmte zum Teil. Allerdings waren die Vollmachten des Gouverneurs ohnehin groß, auch die Macht über diese Gebiete gehörte direkt Hans Frank.

Die Bevölkerung dieser Gebiete wurde in Kategorien geteilt, die sehr unterschiedliche Rechte hatten. Die größten Präferenzen hatten natürlich die Reichsdeutschen, gefolgt von Volksdeutschen. Auf einer niedrigeren Stufe befand sich das Goralenvolk, gefolgt von anderen Polen und rechtlosen Juden. Dabei verfolgte Hans Frank eine Politik nach der Maxime “divide et impera” – er hetzte die Ukrainer und Polen gegeneinander, und sie dann gegen Juden auf.

Dabei scherte er sich nicht um die Legitimität seiner Handlungen. Er gab zu, dass er begreife, dass die deutsche Herrschaft in diesem Gebieten vielleicht einigen Tausenden Polen, insbesondere Vertreter der geistigen Elite, ihr Leben kosten werde… Es gehe darum, eine große nationalsozialistische Mission im Osten zu erfüllen. Deswegen werde das Ziel nicht die Schaffung eines Rechtsstaates sein… Jene, der verdächtig erschienen, würden sofort beseitigt, sagte er. Polen müsse als Kolonie behandelt werden. Die Polen würden zu Sklaven des Großen Deutschen Reichs, sagte Frank. Und er hielt sich an seine Versprechen: er raubte die Kolonie aus, beutete die Polen als Sklavenbesitzer dreist aus.

Ghetto-Gründer: Antisemit, Bestrafer, Mörder

Noch grausamer war der Generalgouverneur gegen die jüdische Bevölkerung in Polen gestimmt. Während die Polen das Schicksal der Sklaven ereilten, waren die Juden zum Tode verurteilt. Was die Juden angehe, würden die Hoffnungen nur auf ihr Verschwinden gelegt, sagte Frank seinen Untergeordneten am 16. Dezember 1941. In Berlin sei gesagt worden, dass man sie selbstständig beseitigen sollte. Man müsse jegliches Mitgefühl aufgeben, man müsse die Juden überall vernichten, egal wo man sie antreffe, um das Gebäude des Reichs aufrechtzuerhalten… Man dürfe solche riesengroße unwiederholbare Ereignisse nicht mit alten Ansichten wahrnehmen, so Frank.

Mit der „endgültigen Lösung der jüdischen Frage“ befasste sich Frank auf seinem Posten in Polen. Mehr als 85 Prozent der polnischen Juden wurden zum Dezember 1942 in Todeslager geschickt. Das Warschauer Ghetto war seine Erfindung. Es war Frank, der es im Oktober 1940 einrichten ließ. In dem Ghetto ging die Bevölkerungszahl von 450.000 auf 37.000 Menschen zurück. Nach dem Aufstand, der vom 19. April bis 16. Mai 1943 dauerte und durch SS-Kräfte gewaltsam unterdrückt wurde, wurden 15.000 am Leben gebliebene Juden ins KZ-Lager Treblinka geschickt. Mehr als 99 Prozent der Gefangenen waren dort Juden. Hier kam zusammen mit Kindern der bekannte polnische Pädagoge Janusz Korczak ums Leben. Während des Aufstandes im Warschauer Ghetto wurden rund 7000 Verteidiger getötet. Etwa 6000 Menschen verbrannten bei lebendigem Leib bei den Brandanschlägen der Deutschen.

Schachspieler, Liberale, Katholik

Franks Persönlichkeit ist in vielerlei Hinsicht paradox. Es gibt sehr viele Beispiele. Er tötete aktiv die jüdische Bevölkerung, gleichzeitig organisierte er als großer Schachfan mehrere Wettbewerbe im Generalgouvernement, wo der damalige Weltmeister, der Russe Alexander Aljechin (damals schon Staatsbürger Frankreichs) und einige bekannte jüdische Schachspieler am Brett ihr Können zeigten. Einmal lud er sie sogar zu einem Empfang bei sich zu Hause ein – doch niemand außer Aron Nimzowitsch besuchte den Top-Nazi. Während die Politik Franks im Warschauer Ghetto von Berlin unterstützt wurde, lösten diese „Schachspiele“ in Hitlers Umfeld Empörung aus. Goebbels war wütend und forderte die Bestrafung Franks.

Zudem war Frank dadurch bekannt, dass er während der „Nacht der langen Messer“ beharrlich, aber erfolglos eine außergerichtliche Abrechnung gegen die SA-Männer von Ernst Röhm, den Hitler als Rivale betrachtete, anstrebte. Während eines Gesprächs mit dem Führer unterstützte er die Idee des Justizministers Franz Gürtner, die KZ-Lager aufzulösen. Diese für das Dritte Reich ungeheuerliche Idee wurde von Hitler sofort abgelehnt. Der von Frank vorgeschlagene Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs, wo die Rechte der Gestapo zumindest irgendwie beschränkt werden sollten, gelangte sofort ins Archiv. Dann begann die Geschichte des absoluten Verrats seiner eigenen Prinzipien: innerhalb von zehn Jahren entwickelte sich Frank vom Gegner der Massentötungen in KZ-Lagern hin zum Ideengeber für die Erschießungen im Warschauer Ghetto.

Die Beziehungen zwischen Frank und Himmler sowie Bormann verschlechterten sich immens, als er offenen Protest wagte. Als er erfuhr, dass SS- und Polizeiführer im Gebiet Lublin Odilo Globocnik mit der Aussiedlung der Polen begann, um Volksdeutsche anzusiedeln, sprach Frank offen von der Notwendigkeit, Deutschland ins „Rechtsfeld“ zurückzubringen. Er war bereit, zurückzutreten, doch Hitler nahm seinen Rücktritt nicht an.

Hans Frank war einer der zwei Angeklagten (neben Albert Speer), die ihre Schuld im Prozess gestanden haben. Frank sagte in Nürnberg, dass er Katholik wurde und diesen Gerichtsprozess als Friedensgericht des Willens Gottes betrachtet, das die schreckliche Epoche unter Adolf Hitler beenden soll.

Angeklagter: Plünderer, Korrumpierter, Mörder, Lügner

Staatsanwälte hatten keine Probleme mit der Anklage gegen Frank, weil er während der Festnahme der Justiz persönliche Tagebücher (43 Bände) übergab, wo seine Tätigkeit als Generalgouverneur Polens ausführlich beschrieben wurde. Ursprünglich wurde gegen ihn Anklage in drei Punkten erhoben. Die Anklage wegen „Verschwörung gegen den Frieden in der ganzen Welt“ wurde schnell aufgehoben. Allerdings bekam er eine gerechte Bestrafung wegen zwei anderen Punkten – „Verbrechen und Verletzung des Kriegsrechts“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

In seinem letzten Wort sagte Hans Frank: „Ich bin dankbar für das milde Urteil, das ich empfangen habe. Ich bitte Gott, mich gnädig aufzunehmen!“. Einige dachten, dass seine ausgedrückte Reue aufrichtig war. Der Grund war klar – vor dem Tod lügt man gewöhnlich nicht. Auf der anderen Seite log Frank ziemlich viel während des Prozesses. So versuchte er,  die Ankläger wegen Bestechlichkeit anzufechten. Er dementierte auch, Kunstschätze aus polnischen Museen in sein Haus in Schliersee (Bayern) gebracht zu haben.

Während er seine Verantwortung dafür dementierte, beschrieb er ausführlich, wie polnische Museen und Kirchen von anderen ausgeraubt wurden. „…Kunstschätze sind sicherlich in unkontrollierbarem Maße entwendet worden, als Kriegsbeute oder unter sonstigen Vorwänden. Während der Registrierung der Kunstschätze hat Hitler den Befehl gegeben, den Veit-Stoß-Altar aus der Marienkirche in Krakau in das Reich abzuführen… Ein drittes waren die in Lemberg noch vor Beginn meiner dortigen Verwaltung von einem Sonderbeauftragten dort weggeholten Dürer-Stiche“, sagte Frank aus.

Zudem behauptete Frank heuchlerisch, dass er von der Existenz der KZ-Lager in Polen erst 1944 erfuhr. Auf dem Prozess wurde bewiesen, dass dem nicht so ist. Allerdings widersprach diese Behauptung auch ohne Beweise dem gesunden Menschenverstand. Himmler sprach Frank zwar tatsächlich von vielen Fragen frei, die mit KZ-Lagern verbunden waren, doch als Generalgouverneur Polens wusste er sicher genau, was in Treblinka, Sobibor, Majdanek, Belzec vor sich ging.

Hans Frank floh aus dem Generalgouvernement im Januar 1945, als sich die sowjetische Armee annäherte. Er stellte sich nicht den Amerikanern, sondern wurde von ihnen im Mai in Südbayern ergriffen. Wäre es nicht zur Festnahme gekommen, hätte er sich weiter versteckt.

Reue übte nicht einmal Einfluss auf seinen Sohn Niklas aus. Nach vielen Jahrzehnten veröffentlichte dieser ein Buch, wo er sich die Wut über seinen Vater von der Seele schrieb.