Als Befehlshaber der deutschen U-Boote hatte Karl Dönitz große Erfolge im Zweiten Weltkrieg gefeiert. Als Belohnung wurde er von Hitler zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt, und später zu dessen Nachfolger gemacht. Gerade dieses „Wohlwollen“ des Führers machte Dönitz zum unmittelbaren Augenzeugen der Schande Deutschlands und brachte ihn nach Nürnberg.

Braver Gefolgsmann oder Simulant?

Karl Dönitz wurde am 16. September 1891 in Grünau bei Berlin geboren. Er war Sohn eines Ingenieurs der Zeiss-Werke. Seine Mutter starb, als er keine vier Jahre alt war; sein Bruder und er wurden fortan von ihrem Vater allein aufgezogen.

Im April 1910 schloss er das Realgymnasium in Weimar ab, dann studierte er an der  Marineschule Mürwik und an der Schiffsartillerieschule in Kiel-Wik. Von April 1910 bis Ende März 1911 war Kadett Dönitz auf dem Großen Kreuzer SMS Hertha im Einsatz. Seit 1. Oktober 1912 diente er als Wachoffizier und Adjutant auf den Kleinen Kreuzer SMS Breslau. Im September 1913 wurde Dönitz zum Leutnant befördert.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges gelang es dem Schlachtkreuzer SMS Goeben und der Breslau, den französischen und britischen Seestreitkräften auszuweichen und nach Konstantinopel zu entkommen, wo die Schiffe unter dem Befehl der Osmanischen Marine gestellt wurden (die Schiffe wurden von den Türken in Yavuz Sultan Selim und Midilli umbenannt). Im November 1914 wurde Dönitz mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Sein Kreuzer wurde aktiv gegen die russische Schwarzmeerflotte eingesetzt, im Juli 1915 lief er auf eine Mine. Als der Kreuzer zu Reparaturarbeiten in der Werft war,  wurde Dönitz in dieser Zeit als Beobachtungsoffizier der Fliegerkräfte eingesetzt. Am 12. September 1916 wurde er in eine Fliegerabteilung an die Dardanellen-Front und nach San Stefano versetzt.

1916 heiratete Dönitz Ingeborg Weber,  Tochter des preußischen Generalmajors Erich Weber, was für ihn einen sozialen Aufstieg bedeutete.

Im Dezember 1916 traf Dönitz in Deutschland ein und meldete sich zu der neuen Waffengattung der Unterseeboote. Er diente als Wachoffizier auf U 39. Am 1. März 1918 erhielt Dönitz das Kommando auf UC 25, bei Fahrten, die er mit seinem U-Boot unternahm, wurden vier Siege errungen. Dann erhielt er das Kommando auf UB 68, einem erheblich größeren, hochseefähigen Zweihüllenboot. Bei einem Angriff auf einen britischen Geleitzug im Mittelmeer am 3. Oktober 1918 wurde UB 68 tauchunfähig und erheblich beschädigt, weshalb es von der Besatzung aufgegeben wurde. Nach Verlassen des Bootes geriet Dönitz in britische Kriegsgefangenschaft. Dönitz simulierte geistige Verwirrung, um schneller in die Heimat zu gelangen. Anschließend wurde er aus gesundheitlichen Gründen freigelassen.

Geheimer Kapitän

Im Juli 1919 kehrte Dönitz aus der Gefangenschaft zurück und setzte den Dienst in der Reichsmarine fort. Von 1920 bis 1923 war er Kommandant verschiedener Torpedoboote, 1921 wurde zum Kapitänleutnant befördert. Ab 1923 war er Referent und Adjutant der Inspektion des Torpedo- und Minenwesens, ab 1930 Admiralstabsoffizier der Marinestation an der Nordsee. 1934 bis 1935 war er Kommandant des Kreuzers “Emden”. Im September 1935 wurde er zum Chef der U-Boot-Flottille “Weddigen” ernannt und im Oktober 1935 zum Kapitän zur See befördert.

Als die Nazis an die Macht kamen, teilte Dönitz zunächst nicht ihre Überzeugungen. Doch später stimmte er vollständig den Konzepten und Zielen des Nationalsozialismus zu, betonte US-Diplomat John Messerschmitt, dessen Aussagen bei den Nürnberger Prozessen verlesen wurden. 1936 beteiligten sich deutsche U-Boote unter dem Kommando von Dönitz an einer geheimen Operation während des Bürgerkriegs in Spanien, als Deutschland General Francisco Franco unterstützte.

„Er förderte die Kriegsvorbereitung, die in Punkt 1 der Anklageschrift angegeben ist“, sagte Sidney S. Alderman. Er beteiligte sich an der militärischen Planung und Vorbereitung der Angriffskriege und Kriege, die internationale Verträge, Abkommen und Vereinbarungen, die in Punkten 1 und 2 der Anklageschrift angegeben sind, verletzen; er genehmigte, leitete und beteiligte sich an den Kriegsverbrechen, die in Punkt 3 der Anklageschrift angegeben sind, einschließlich Verbrechen gegen Personen und Eigentum zur See“.

„Es sind gerade der Angeklagte Keitel und der Angeklagte Dönitz, die für die Änderung des Grußes in den deutschen Streitkräften und Einführung des Nazi-Grußes verantwortlich sind“, betonte der britische Jurist Henry Phillimore.

Führer der U-Boote

Als der Zweite Krieg ausbrach, war Dönitz Befehlshaber der Unterseeboote der Seestreitkräfte. Am 1. Oktober 1939 wurde er zum Konteradmiral befördert.

Er beteiligte sich persönlich an der Planung einer Operation gegen den britischen Militärstützpunkt Scapa Flow im Archipel Orkney, als ein deutsches U-Boot U-47 am 13. Oktober 1939 durch die Meerenge Kirk Sound in die Bucht von Scapa Flow eindrang und das britische Schlachtschiff HMS Royal Oak mit drei Torpedos versenkte.

Dass die Marine-Kampagne unter Wasser erfolgreicher als bei den Schiffen verlief, führte zum Karriereaufstieg Dönitz‘. Im April 1940 wurde er mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, im September 1940 wurde er zum Vizeadmiral, im März 1942 zum Admiral befördert. Im Unterschied zu Großadmiral Raeder hielt er es für notwendig, den Schwerpunkt auf die Entwicklung der U-Flotte zu legen, was zu einem Konflikt zwischen den beiden Flottenführern führte.

Deutschland war beim „Kampf im Atlantik“ Großbritannien überlegen, doch am 11. Dezember 1941 erklärte Hitler den USA den Krieg, als der Angriff Japans auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii unterstützt wurde. Mit der US-Flotte konnte Deutschland nicht mithalten.

Am 17. September 1942 erteilte Dönitz den berüchtigten Laconia-Befehl, wobei U-Booten der deutschen Kriegsmarine jegliche Versuche, Schiffbrüchige versenkter gegnerischer Schiffe zu retten, verboten wurden. Über diesen Befehl berichtete bei den Nürnberger Prozessen der Zeuge der Anklage, Oberleutnant zur See Peter Josef Heisig.

Am 30. Januar 1943 wurde Dönitz nach dem Rücktritt Raeders zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt und zum Großadmiral befördert. Im März 1943 versenkten deutsche U-Boote 120 Schiffe. Der von diesem Erfolg inspirierte Hitler zeichnete Dönitz mit Eichenblättern zum Ritterkreuz aus. Doch das war der letzte deutsche Erfolg auf hoher See. Ab April 1943 gewannen die Alliierten an Schlagkraft im Atlantik.

„Seit der Zeit, als der Angeklagte das Amt Raeders übernahm, war er einer der Leiter des Dritten Reichs. Er wusste natürlich von allen Beschlüssen, allen wichtigsten politischen Entscheidungen“, so Phillimore.

Am 30. Januar 1944 überreichte Hitler Dönitz das „Goldene Parteiabzeichen“ der NSDAP. Am 12. März erklärte der Großadmiral im Rundfunk: „Was wäre unsere Heimat heute, wenn der Führer uns nicht im Nationalsozialismus geeint hätte? Zerrissen in Parteien, durchsetzt von dem auflösenden Gift des Judentums und diesem zugänglich, da die Abwehr unserer jetzigen kompromisslosen Weltanschauung fehlte, wären wir längst der Belastung des Krieges erlegen und der erbarmungslosen Vernichtung unserer Gegner ausgeliefert worden.“

Während der Eröffnung der „zweiten Front“ in Europa und der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 gab Dönitz zum letzten Mal den Befehl, sie massiv anzugreifen. An diesem Gefecht beteiligten sich 36 U-Boote, von denen mehr als die Hälfte versenkt wurde. Aber Dönitz ließ nicht locker: Der Großadmiral schickte unablässig neue U-Boote in den Kampf und hoffte offenbar, den Kriegsverlauf doch zu wenden. Vom 6. Juni bis 31. August 1944 gelang es den Deutschen, fünf Begleitschiffe, zwölf Frachtschiffe (58 845 Tonnen) und vier Landungsschuten zu versenken. Dabei verloren sie selbst 82 U-Boote.

Hitlers Nachfolger

Am 30. April 1945 beging Adolf Hitler Selbstmord. Am Vortag hatte er ein politisches Testament verfasst, dem zufolge er seinem offiziellen Nachfolger Hermann Göring und dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler für deren Versuche zu Verhandlungen mit  den westlichen Mächten alle Ämter und Befugnisse entzog. Dabei nannte er keinen Nachfolger auf dem Posten des Führers und an der NSDAP-Spitze, ernannte aber Karl Dönitz zum Reichspräsidenten, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, zum Reichskanzler und NSDAP-Kanzleichef Martin Bormann zum Parteiminister.

Am 1. Mai informierte Goebbels Stalin von Hitlers Tod und bat um Feuereinstellung. Die Sowjetunion bestand allerdings auf einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Der neu ernannte Reichskanzler, der in den letzten Monaten total verzweifelt war, informierte Dönitz darüber und vergifte sich gemeinsam mit seiner Frau. Zuvor hatten die beiden auch ihre sechs Kinder getötet, denen sie nicht einmal erklärt haben, was eigentlich geschehen war.

Der neue Reichspräsident fand sich in einer völlig katastrophalen Situation wieder: Berlin war bereits von der Roten Armee eingenommen und lag in Trümmern, aus dem Westen rückten die Amerikaner und Briten vor, das Dritte Reich hatte keine Führungsspitze mehr: Manche höchstrangige Beamte nahmen sich entweder das Leben, manche wurden zu Verrätern erklärt oder waren geflüchtet. Angesichts dessen hieß es nur noch: Der Krieg sollte möglichst schnell und mit minimalen weiteren Verlusten beendet werden.

In der Nacht auf den 2. Mai trat Dönitz im Rundfunk auf und informierte das deutsche Volk, dass Hitler „gefallen“ sei. Gleichzeitig versicherte er, dass der Krieg weitergehen würde, um Deutschland vor der Zerstörung durch die angreifenden Bolschewiken zu retten. Aber er wusste natürlich: Höchstens dürfte Deutschland mit einem separaten Frieden mit den westlichen Alliierte rechnen.

Am 2. Mai erklärte Dönitz das Haus der Marineschule in Flensburg-Mürwik zu seiner Residenz. Dort wurde eine neue Regierung mit Finanzminister Graf Ludwig Schwerin von Krosigk an der Spitze gebildet, der sich übrigens weigerte, Reichskanzler zu werden. Er wollte „leitender Minister“ genannt werden. dieses Kabinett ging als „Flensburger Regierung“ in die Geschichte ein. Ihr oberstes Ziel war es, eine Waffenruhe mit den westlichen Mächten zu vereinbaren und möglichst viele Truppen und Zivilisten aus den Gebieten zu evakuieren, die die Sowjetunion bereits erobert hatte. Am 6. Mai erklärte Dönitz die Evakuierung zur obersten Priorität und aktivierte zu diesem Zweck die Kraftstoffreserven für die U-Boote. Dadurch wurden allein in zwei Tagen etwa 120 000 Menschen evakuiert.

Am 5. Mai schickte Dönitz den neuen Kriegsmarinebefehlshaber, Admiral Hans-Georg von Friedeburg, zu US-General Dwight Eisenhower, dessen Hauptquartier im französischen Reims lag. Von Friedeburg sollte Verhandlungen über die deutsche Kapitulation beginnen. Der Reichspräsident verlangte, die Gespräche möglichst in die Länge zu ziehen, damit die deutschen Truppen und Flüchtlinge sich den westlichen Alliierten ergeben könnten. Eisenhower drohte im Gegenzug, die Front zu schließen – also alle deutschen Soldaten zu erschießen, die die Trennungslinie überschreiten sollten. Als Dönitz das erfuhr, gab er auf.

Am 7. Mai unterzeichneten Dönitz‘ Gesandte in Reims die Akte über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands gegenüber Vertretern Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion. Stalin ließ sich nicht gefallen, dass die Nazis auf dem Territorium kapituliert hatten, das von den Alliierten kontrolliert wurde, und verlangte eine erneute Kapitulation – in Berlin. In der Nacht auf den 9. Mai wurde die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands im Berliner Stadtteil Karlshorst unterschrieben.

Zukunftshoffnungen

Dennoch blieb das Kabinett von Schwerin von Krosigk weiterhin bestehen. Dönitz hoffte sogar, dass es zur Übergangsregierung im Nachkriegs-Deutschland werden könnte.

Auf Himmlers Bitte ließ er SS-Mitglieder mit Marine-Ausweisen versorgen, denn es war klar, dass für Kriegsverbrechen vor allem SS-Leute verfolgt würden. Zudem blieb sein Einstellung zum NS-Regime generell konstant. „Die wahre Volksgemeinschaft, die der Nationalsozialismus geschaffen hat, muss erhalten werden; der Wahnsinn der Parteien wie vor 1933 darf nicht wieder Platz greifen“, notierte Dönitz nur eine Woche nach der Kapitulation. Er bestand darauf, dass es bei den Ereignissen in den Konzentrationslagern nicht um Verbrechen des Staates, sondern um Verbrechen einzelner Personen gehandelt hätte.

Doch die Alliierten nahmen keine Rücksicht mehr auf ihn. Am 20. Mai nannte die sowjetische Führung die Flensburger Regierung „die Dönitz-Bande“ und gab zu verstehen, dass Moskau ihren offiziellen Status nie anerkennen würde. Am 23. Mai 1945 erschien in Flensburg ein britischer Kommunikationsoffizier, der den Ministern den Befehl Eisenhowers zur Auflösung der Flensburger Regierung und zur Festnahme aller ihrer Mitglieder vorlas.

Später wurde Dönitz neben den Ex-Ministern Albert Speer und Alfred Jodl nach Nürnberg überführt, wo sie sich dem Gericht stellen mussten. Möglicherweise wäre Dönitz nicht zu den Hauptkriegsverbrechern gezählt worden, wenn Hitler ihn nicht zu seinem Nachfolger ernannt hätte. Aber diese „Ehre“ hat ihm am Ende einen Streich gespielt.

Die Leitung des Projekts „Nuremberg. Casus pacis“ bedankt sich beim Militärexperten Ilja Kramnik für dessen Hilfe bei der Erstellung dieses Beitrags.

 

Quellen:

Oleg Wischlew. Dönitz, Karl//Große russische Enzyklopädie

Konstantin Salesski. Die Anführer und Kriegsherren des Dritten Reiches

Konstantin Salesski. NSDAP. Die Macht im Dritten Reich

Andrej Gordijenko. Die Kommandeure des Zweiten Weltkriegs

Samuel William Mitcham Jr., Gene Mueller. Hitler's Commanders

 

Daniil Sidorow