Folterungen und Massenmorde in KZ-Lagern waren der Höhepunkt der Grausamkeit des Nazi-Regimes. In allen Zeiten gab es ausgeklügelte Methoden und Waffen, um an Zugeständnissen zu kommen und Menschen zum Gehorsam zu zwingen. Das 20. Jahrhundert mit seinen totalitären Regimes war da keine Ausnahme. Doch gerade im Dritten Reich wurden gefoltert und getötet wie am Fließband einer Fabrik – mit deutscher Genauigkeit, Exaktheit und Unbefangenheit.

Einer der anschaulichsten und schockierendsten Beweise der unmenschlichen Misshandlungen der Gefangenen der Todeslager durch die Nazis wurde vom sowjetischen Schriftsteller Boris Polewoi beschrieben. In seinem Buch „Letzten Endes. Die Nürnberger Tagebücher“ beschrieb er den schwarzen Tag, als vor dem Internationalen Gerichtshof die anschaulichen Beweise vorgelegt wurden.

„Das alles war tatsächlich schrecklich, doch das schrecklichste, wie sich herausstellte, stand uns noch bevor“, schrieb der Schriftsteller. „Stände standen mitten im Raum noch bedeckt. Etwas massives, gedeckt mit weißen Laken, lag auf den Tischen. Da nahm der Staatsanwalt nach der Pause das Laken von einem dieser Gegenstände, im Saal herrschte erstaunliche Stille, abgelöst durch das Gewisper des Schreckens. Auf dem Tisch stand unter einer Glaskuppel, auf einer feinen Marmor-Platte ein menschlicher Kopf. Ja, gerade ein menschlicher Kopf, der auf eine unklare Weise auf die Größe einer großen Faust reduziert wurde, mit langen nach hinten gelegten Haaren… Der Gefangene, der einem Besucher bzw. Besucherin aufgefallen war, wurde getötet, dann wurden durch den Hals die Reste der zerschlagenen Knochen und das Gehirn entnommen, entsprechend bearbeitet, dann wurde der kleiner gewordene Kopf wie eine Strohpuppe bzw. Statue gestopft. “

„Wir beobachteten diesen Kopf unter einer Glaskuppel und spürten, wie ein kalter Schauer über die Haut läuft“, beschrieb Polewoi die Gefühle der Anwesenden. „Über uns, auf dem Balkon für Gäste schrie plötzlich eine Frau. Es kamen Menschen. Sie wurde bewusstlos rausgeholt. Derweil setzte der sowjetische Ankläger seine Rede fort. Nun las er die Aussagen von Sigmund Masur, ‘Wissenschaftler‘, Mitarbeiter eines Forschungsinstituts in Königsberg, vor. Er sprach ruhig, in einer technischen Sprache, wie in den Labors dieses Instituts das Problem einer vernünftigen industriellen Verwertung der Abfälle der riesigen Todesfabriken – menschlichen Fleischs, Fetts sowie Haut – gelöst wurde“, so Polewoi.

Als Laken von den Ständen abgenommen wurden, verstand zunächst niemand, was da liegt, so Polewoi. „Es stellte sich heraus, dass er die menschliche Haut in verschiedenen Etappen der Bearbeitung war – gerade nach der Abnahme, nach der Entfernung des Leims, nach der Gerbung, nach der Bearbeitung. Und Erzeugnisse aus dieser Haut – feine Frauenschuhe, Taschen; Aktentaschen, Briefmappen und sogar Jacken. Auf den Tischen lagen Kisten mit Seife verschiedener Sorten – Standardseife, Haushaltsseife, Kinderseife, Flüssigseife, technische Seife und Toilettenseife verschiedener Sorten und Aroma in bunter, schöner Packung“, so Polewoi.

Er erinnerte sich daran, wie der Staatsanwalt seine Rede in absoluter Stille fortsetzte, Angeklagte saßen in angestrengten Posen. „Ribbentrop verdrehte die Augen und biss sich auf die Lippe mit einem Gesichtsausdruck voller Leiden. Göring verzog den Mund und schrieb seinem Anwalt Notizen. Streicher hustete und lachte hysterisch, Schacht wurde es wieder übel. Sein sonst unbewegliches, hartes Gesicht war bleich und fassungslos“.

Als Kriegskorrespondent war Polewoi früher bereits im KZ-Lager Auschwitz gewesen. Doch er war jetzt „von den Erzeugnissen aus den Abfällen der Todesfabriken tief schockiert“.

„Ich spürte, wie sich die Übelkeit entwickelte, man wollte sofort aufstehen und aus dem Saal hinausrennen… In dem Geschäftston, mit dem Sigmund Masur seine Aussagen auffasste, in seiner ruhigen technischen Sprache („Die menschliche Haut, ohne Behaarung, lässt sich ziemlich gut bearbeiten, wobei man im Unterschied von der Haut der Tiere, mehrere aufwändige Operationen ausschließen kann“ oder „nach der Abkühlung wird die gekochte Masse zurück in die Formen gegossen, und die Seife ist fertig“) gab es etwas Schreckliches.

Ich sah zum ersten Mal, wie alle drei Kukryniksy an ihren geöffneten Mappen saßen und nichts zeichneten – sie sind so sehr schockiert:

-          Die Hölle von Dante ist im Vergleich dazu eine Vergnügungsstätte, flüsterte jemandem Juri Koroljkow, doch es war so unheimlich still im Saal, dass wir ihn über zwei Reihen hören konnten.

Wir verließen den Saal schweigend nach der Sitzung.

-          Kumpel, ich werde wohl nie wieder Fleisch essen können, sagte Michail Gus, als er in den Wagen stieg.

-          Nun sollen sie sich auch nicht mehr mit der Seife waschen, ironisiert traurig Semjon Narinjani.

Unserer Übersetzerin Maria geht es schlecht. Sie sitzt im stolpernden Auto, sie schluchzt hysterisch, beißt sich an die Lippe, die neben ihr sitzenden Schreiberinnen geben ihr ein Fläschchen mit etwas Stinkendem. Ich weiß nicht, ob für lange Zeit, doch wir haben heute tatsächlich Appetit und Schlaf verloren.“

Auch Vertreter der Klage beschrieben ihre Eindrücke auf eine ähnliche Weise. „Wir, Vertreter der westlichen Welt, hörten von Todeswagen, wo Juden und politische Gegner erwürgt wurden. Wir konnten daran nicht glauben“, sagte der US-Chefankläger Robert Jackson. „Doch vor uns liegt der Bericht des deutschen SS-Offiziers Becker vom 16. Mai 1942 an seinen Chef in Berlin, wo folgende Geschichte erzählt wird:

Gaswagen der Einsatzgruppe C können bis an den Ort der Hinrichtung, der gewöhnlich 10 bis Kilometer von der Hauptstraße liegt, nur bei gutem Wetter gelangen. Da jene, die hingerichtet werden sollen, wütend unterwegs werden, werden die Wagen bei feuchtem Wetter kaputt.

Gaswagen der Einsatzgruppe D waren als Hänger getarnt, waren aber den Behörden und der Zivilbevölkerung, die sie „Todeswagen“ nannte, gut bekannt. Der Verfasser des Briefes (Becker) befahl allen Soldaten, sich der Wagen während der Erwürgung möglichst fern zu halten. Die Entladung des Wagens machte einen schrecklichen moralischen und physischen Eindruck auf Soldaten, und sie sollten an dieser Arbeit nicht teilnehmen.

Der sowjetische Assistent des Klägers, Oberst Lew Smirnow, war in seinem Auftritt noch emotionaler. „An den Gräbern unserer Brüder, wo die Leichen sowjetischer Menschen, getötet durch typische deutsche Methoden (ich lege dem Gericht die Beweise dieser Methoden und ihrer Regelmäßigkeit vor), am Galgen, wo sich die Leichen von Jugendlichen baumelten, an den Öfen riesiger Krematorien, wo die in den Vernichtungslagern getöteten Leichen verbrannt wurden, an den Leichen von Frauen und Mädchen, die Opfer der sadistischen Neigungen der faschistischen Verbrecher wurden, an den toten Körpern der Kinder, in zwei Teile zerrissen, erfuhren die sowjetische Menschen die vielen Übeltaten, für die, wie in der Rede des Chefanklägers der Sowjetunion berechtigterweise betont wurde, Henker bis Minister verantwortlich waren“, betonte er in seinem Bericht.

Ihm zufolge gab es bei den grausamen Übeltaten der Nazis ein bestimmtes verbrecherisches System. „Die Einheit der Methoden der Tötung: eine und dieselbe Struktur der Gaskammer, Massenherstellung der runden Dosen mit Giftstoff Zyklon A bzw. Zyklon B, die nach gleichen Projekten gebauten Krematorien-Öfen, Standard-Konstruktion der stinkenden Todeswagen, die von deutschen Gaswagen und von unseren Menschen Todeswagen genannt wurden, technische Entwicklung der mobilen Mühlen zur Mahlung der menschlichen Knochen – das alles wies auf einen einheitlichen bösen Willen, der einzelne Mörder und Henker vereinigte, hin“, so Smirnow.

„Es wurde klar, dass sich mit der ‚Rationalisierung‘ der Massenmorde im Auftrag der Hitler-Regierung und des Wehrmacht-Kommandos deutsche Wärmetechniker und Chemiker, Architekten und Toxikologen, Mechaniker und Ärzte beschäftigt hatten. Es wurde klar, dass die ‚Todesfabriken‘ ganze ‚Hilfsindustrie‘-Zweige ins Leben gerufen hatten. Aber die Einheit des bösen Willens kam nicht nur dort zutage, wo dem Ziel der Menschentötung spezielle Technik diente. Für diese Einheit des bösen Willens war auch die Einheit der Methoden typisch, auf die die Vollzieher zurückgriffen, wie auch die Einheit der Tötungstechnik – auch dort, wo für Tötung keine speziellen technischen Anlagen nötig waren, sondern nur übliche Waffen, die der Wehrmacht zur Verfügung standen“, betonte der sowjetische Ankläger.

 

Quellen:

Boris Polewoi. Letztendlich. Die Nürnberger Tagebücher

Stenogramm des Nürnberger Prozesses, Bänder I, VI/Aus dem Englischen übersetzt und erstellt von Sergej Miroschnitschenko